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Hochgefickt

Titel: Hochgefickt
Autoren: Nathalie Bergdoll
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nur mitsingen (»aber bitte ganz leise!«), weil Renate der Chorleiterin einmal pro Woche Haare und Ego aufbürstete. Diese breitgefächerte Minderqualifikation an sich stellte noch keinen wirklichen Hinderungsgrund für eine Showkarriere im Privatfernsehen dar – was mir als 16-jährigem Landei allerdings wirklich fehlte, war die Gelegenheit, aus diesem Kaff heraus einen Fuß in die Türen der Branche zu kriegen. Meine Eltern hatten mir jedoch immer vorgelebt, dass einem das Schicksal manchmal tatsächlich das Gewünschte in den Schoß wirft, wenn man seinem Glück vertraut. Also hielt ich mich an ihr Vorbild und wartete in wacher Lauerstellung einfach mal geduldig ab.
    Meine schulischen Leistungen in der zehnten Klasse spielten dieser Haltung zu, und so konnte ich mich drei weitere Schuljahre lang dem Eintritt in den Arbeitsmarkt erst mal erfolgreich entziehen – durch die Option eines anschließenden Studiums sogar bis auf weiteres. Statt mich in die Mühlen einer ernsthaften Berufsausbildung begeben zu müssen, gewann ich Zeit. Zeit, mich weiterhin in Ruhe auf mein Ziel zu fokussieren und währenddessen lästige Makel wie meine Zahnspange, meinen Sprachfehler und meine Jungfräulichkeit loszuwerden.
    »Non scholae, sed vitae discimus«, hatte ein Steinmetz dekorativ um das Schultor herum gemeißelt, und für mein Leben lernte ich dort wahrlich eine Menge: zum Beispiel, dass der Krieg zwischen Athen und Sparta erst beendet wurde, als sich die Frauen um Lysistrata ihren Männern sexuell verweigerten – die altgriechische Variante von »Make love, not war!«; und dass der Mathelehrer meine Kurvendiskussionen immer sehr viel wohlwollender benotete, wenn ich sie tief dekolletiert und kurz berockt in den Klausurbogen schrieb.
    Darüber hinaus war ich erfreulich oft Raucherhofthema. Ich genoss es, wenn ausgiebig über mich geredet wurde, und lernte, meinen Ruf als scharfes Luder gut zu schüren – das ging über meine körperlichen Vorzüge wie taillenlange blonde Haare und Körbchengröße D schon mal ganz prima. Ruffördernd war vor allem aber, dass ich (ganz Kind meiner Mutter) bei den größten Klatschbasen der Schule ausführlich von meinen sexuellen Ferien- erlebnissen berichtete – gleichzeitig aber keinen der hiesigen Jungs ranließ. Das Gerede und der einsetzende Wettbewerb um meine Gunst zeigten mir, dass ich auf dem richtigen Weg war, mein Marktwirtschafts-Wissen aus dem SoWi-Grundkurs erfolgreich umzusetzen: die Nachfrage tüchtig anzukurbeln und dabei das Angebot zu verknappen steigerte meinen Marktwert nämlich beträchtlich.
    Das ging so weit, dass der wohlhabende Hoteliersohn Markus Ballensiefen mich im Abiturjahr sogar zur Jungschützenkönigin des Landkreises machen wollte, nur um sich wenigstens irgendwie mit mir schmücken zu können.
    »Jackie, ich werde Jungschützenkönig! Möchtest du vielleicht meine Königin sein? Ich schenk dir auch das Kleid, bitte sag Ja!« Markus war zwar ein echt netter Kerl mit guter Figur, sah aber oberhalb der Halskrause gelinde gesagt beschissen aus. Dass er trotzdem den Mut aufbrachte, mich zu fragen, fand ich jedoch wirklich beeindruckend. Ich habe halt manchmal eine soziale Ader, und abgesehen davon: Königin zu werden war es wert, auf dem Weg dorthin auch mal einen Frosch zu küssen. Die Krönungszeremonie war immer ein Riesenspektakel bei uns im Ort, mehr Aufmerksamkeit und Glamour konnte man in der Eifel nicht bekommen. Ich hielt das für einen angemessenen Abgang, bevor ich in Köln mein Studium anfangen wollte. Allerdings wusste ich auch um das Ausmaß des Geredes, das aus dieser Paar-Situation erwachsen würde, und aus Sorge um meinen hart erarbeiteten Ruf stellte ich ihm Bedingungen.
    »O.K., ich mache die Königin – aber nur, wenn du dir vorher Kontaktlinsen und einen neuen Haarschnitt besorgst. Wie sehen wir denn sonst auf den Fotos aus? Und ich warne dich: Wenn du vor lauter Übermut irgendwo behaupten solltest, wir hätten was miteinander, werde ich verbreiten, du hättest keinen hochbekommen und wärst sowieso schwul.«
    Er machte durch seine fingerdicken Brillengläser so große Augen, dass man trotz seiner elf Dioptrien Iris und Pupille deutlich voneinander unterscheiden konnte. Vor lauter glückseliger Aufregung wurde er sogar rot und begann zu stammeln.
    »Ja, ähäah … du sagst ja?! Äh, klar, ist gebongt, mach ich alles …«
    So geschah es, und das tat ihm gut, denn durch diese kleinen Korrekturen sah er immerhin durchschnittlich
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