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Hochgefickt

Titel: Hochgefickt
Autoren: Nathalie Bergdoll
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werden wird, als der Titel es auf den ersten Blick vermuten lässt. Wie gesagt, Vorurteile und Klischees …

1
Nabelschau
    (1964 – 1993)
    (Wer bin ich, wo komm ich her,
    wo will ich hin?)

    Ich habe zwei große Talente.
    Ja, die auch, aber ich meine eher Talente im Sinne von besonderen Begabungen, dank derer das Schicksal einem Erfolge scheinbar einfach so in den Schoß fallen lässt. Wobei dieser Eindruck falsch ist, denn jedes Talent verpufft wirkungslos, wenn man vor Disziplin und harter Arbeit zurückschreckt. Hätte Mozart beispielsweise gesagt: »Och nö, Papa, ich kann schon Klavierspielen, ich gehe jetzt lieber zu meinen Zinnsoldaten!«, würde uns heute viel schöne Musik fehlen. Wenn man aber das Glück hat, überhaupt irgendein Talent bei sich zu erkennen, dann sollte man es konsequent nutzen und ausbauen! Doch leider wirkt es schnell großspurig, mit den Erfolgen seines Talents auch noch hausieren zu gehen. Denn im Allgemeinen wird ein gewisses Maß an Understatement erwartet – aber wenn Bescheidenheit eine meiner Tugenden wäre, hätte meine Geschichte gerade in den von Größenwahn geprägten 90ern niemals so passieren können.
    Bescheidenheit passte nämlich überhaupt nicht zum Zeitgeist der 90er, die Jahre des großen Medienhypes: Musikfernsehen, Daily-Soaps, Talk-Shows, Medien-Agenturen, Internet-Irgendwas und dazu die flirrende Goldgräberstimmung der Vor-Milleniums-Jahre, als gefühlt alles möglich war. Think big.
    Jeder Jugendliche wollte »irgendwas mit Medien« machen, der gesamte Markt wuchs rasant – und weil es so viele Sender (und dieses aufkeimende neue Ding namens Internet) gab, die Sendezeit zu füllen hatten, bekam das Fernsehvolk ständig die Möhre des schnellen Ruhms vor die Nase gehalten. Früher, da musste man wenigstens noch mit der Cessna auf dem Roten Platz landen oder Buntstifte am Geschmack erkennen können, aber nun wurde der mediale Ruhm demokratisiert, und man konnte auch ohne besondere Fähigkeiten nicht nur seine von Warhol prophezeiten fünfzehn Minuten Ruhm bekommen, sondern sogar seine eigene Sendung! Um zum Promi zu werden, musste man sich damals nicht in Castingshows blamieren. Um in den goldenen 90ern zum Medienstar aufzusteigen, reichte es noch, einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein – und dort mit den richtigen Leuten zu schlafen. (Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: De facto reichte schon, das einfach zu behaupten – »so-tun-als-ob« kann ich nachweislich ganz passabel, aber dazu später.)
    Bevor ich jedoch angemessen von ausschweifenden Exzessen und perfiden Verschwörungen auf meinem Weg zu Reichtum, Glück und einem Bekanntheitsgrad von 96 % erzählen kann, müssen Sie wissen, wieso ich überhaupt dahin kommen wollte und konnte.
    Darum also zurück zum Nutzen der bereits erwähnten Talente. Ich bin nämlich unverschämterweise mit gleich zweien davon gesegnet: mit der Fähigkeit, Chancen zu erkennen, und mit gutem Gespür, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Letzteres trat schon sehr früh zutage, um genau zu sein, bei meiner Geburt, ich bin nämlich ein Sonntagskind. Am 26. Mai 1974 erblickte ich das Licht der Welt in einem Eifeler Kreiskrankenhaus als Tochter der Eheleute Renate und Günther Große und wurde mit großem Brimborium auf den wohlklingenden Namen Jacqueline getauft.
    Es war damals schwer in Mode, kleinen Mädchen französische Vornamen zu geben; zudem war meine Mutter bereits seit ihrer Jugend eine glühende Verehrerin der Stil-Ikone Jackie Kennedy, und mit der Wahl dieses Namens hoffte sie, mir die Weltläufigkeit, Anmut und Grazie meiner Namenspatronin in die Wiege zu legen. Diese an sich schöne Idee scheiterte aber leider schon in dem Moment an der Realität, als der Eifeler Pastor mir das Wasser über die Stirn goss mit den Worten: »… taufe ich dich auf den Namen Dschaschkweline!«
    Meine Eltern genossen jedoch bei uns im Ort ohnehin eine Sonderstellung, sodass sie sich Kapricen dieser Art erlauben konnten. Als ich geboren wurde, waren die beiden nämlich bereits zu heimlichen Stars der kleinstädtischen Gemeinde aufgestiegen: meine Mutter als Inhaberin des »Frisierstübchen Salon Renate«, mein Vater als geselliger Zechkumpan mit hohem Unterhaltungswert. Um verstehen zu können, wie sie das 1. in der Eifel, 2. auch noch als Zugezogene und 3. in nur fünf Jahren schaffen konnten, muss man ein paar Dinge über meine Eltern wissen. Das sagt nämlich schon eine Menge über mich aus, denn ohne die
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