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Hochgefickt

Titel: Hochgefickt
Autoren: Nathalie Bergdoll
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beiden, ihre Prägung und Vorgeschichte wäre mein großer Coup in dieser Form nicht möglich gewesen. Es folgt: ein kleiner Exkurs über den genetischen und sozialen Pool, dem ich entsprungen bin.
    Die Paarbeziehung, der ich meine Entstehung verdanke, begann bereits Anfang der 60er-Jahre auf einem Rattles-Konzert in Hamburg.
    Zu diesem Zeitpunkt war mein umschwärmter Vater mit seinen 28 Jahren bereits ein erfolgreicher Versicherungskaufmann, der nicht nur die Optik von Peter Kraus, die Brustbehaarung von Tom Jones und den Körperbau des jungen Marlon Brando in sich vereinte, sondern darüber hinaus auch noch einen eigenhändig zum Reisemobil umgebauten Opel Blitz besaß. Meine damals 18-jährige Mutter war die bestaussehende Friseuse (damals hieß das noch so) der Stadt, ausgestattet mit der Fröhlichkeit von Lilo Pulver, dem Sexappeal von Brigitte Bardot und Heerscharen von Verehrern. Amor erwischte die beiden auf voller Breitseite, Eros ließ sie zusammenkommen und zusammen kommen, und auch sonst hatten sie miteinander das große Los gezogen. Gottlob waren diese zwei Alpha-Geschosse bereits damals klug genug, das zu erkennen, und somit beschlossen sie einfach, zusammenzubleiben.
    Für damalige Verhältnisse war der Rahmen, in dem sie ihre Beziehung lebten, allerdings ziemlich spektakulär: Unverheiratet zogen sie mit dem Reisemobil meines Vaters quer durch die Republik. Dadurch hatten sie nämlich nicht nur die Möglichkeit, als junges Paar viel Zeit miteinander zu verbringen und trotz der spießigen Berufe ihren inneren Hippie auszuleben, sondern konnten sich gemeinsam auch noch wirtschaftlich in ihrem Dauerurlaub absichern.
    Denn Renate und Günther, deren sympathisches Wesen ihrer äußerst patenten Art Vorschub leistet, waren schon damals bauernschlaue Pragmatiker; und weil beide sehr treffsicher mit den unterschiedlichsten Leuten umgehen konnten, verdienten sie auf ihrer Tour richtig gut Geld. Während Günther als selbstständiger Makler die Angebote der einzelnen Versicherer erklärte und sein verbales Spinnennetz Gewinn bringend um die Männer wob, machte Renate derweil den Gattinnen die Haare. Und was von meinem Vater zuerst nur als freundliches Serviceangebot gedacht war, entwickelte sich durch meine Mutter zum symbiotischen Erfolgskonzept.
    Meine Mutter ist bis heute eine Meisterin der Manipulation, und seit sie den Frauen den Kopf frisierte und ihnen dabei diverse Kleinigkeiten einflüsterte, stieg die Zahl der zusätzlichen Versicherungsabschlüsse signifikant. Der umsichtige Günther unterstützte im Gegenzug aber auch ihre Ambitionen in Richtung Selbständigkeit – und ihr wachsender Erfolg als Avon-Beraterin spielte ihm wiederum neue Kunden in die Hände.
    Meine Eltern lebten nach eigenen Angaben in diesen Jahren ein aufregendes Aussteigerleben: Ihre Korrespondenz regelten sie über Postfächer, und wenn sie berufliche Termine hatten, mieteten sie sich mit ihrem Geld in Hotels ein. In der arbeitsfreien Zeit, die sie sich reichlich gönnten, gondelten sie mit dem Wohnmobil quer durch Europa und genossen ihr Leben.
    Ich war als Kind immer begeistert, wie ihre Augen leuchteten, wenn meine Eltern von dieser Zeit erzählten. Eine meiner Lieblingsgeschichten war die, warum und wie sie geheiratet hatten.
    »Erzählt mir noch mal, wie das war mit eurer Hochzeit!«, forderte ich in relativ regelmäßigen Abständen.
    »Also Lienchen, setz dich her und pass auf«, begann mein Vater dann und bemühte sich zu meinem großen Vergnügen bei seiner Erzählung immer um den gleichen knarzigen Tonfall, den auch die Sprecher auf meinen Märchenkassetten hatten. »Damals, lange bevor es dich gab, als die Mama und ich noch im Blitzmobil auf Tour waren, da war Frau Stahlke schon eine treue Kundin von deiner Mutter. Die Frau Stahlke war zwar schon sehr alt, als Mama sie kennenlernte, aber man konnte immer noch deutlich sehen, dass sie mal eine ungewöhnliche und sehr schöne Frau gewesen sein musste. Jetzt jedoch war sie alt und einsam geworden, und daher freute sie sich immer sehr über die Besuche deiner Mutter.«
    »Die hat mit Mama doch immer feinen Sekt getrunken!«
    »Roten Krimsekt«, klinkte sich dann meine Mutter ein, »die Frau Stahlke hatte den immer extra besorgt, wenn sie wusste, dass ich zu ihr komme – und dann haben wir stundenlang getrunken, geraucht und erzählt, herrlich war das!«
    »Und worüber habt ihr erzählt?«, fragte ich dann.
    Mein Vater verdrehte bei diesem Einwurf von mir jedes Mal
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