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Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)

Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)

Titel: Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)
Autoren: Adriana Popescu
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    «Guten Morgen! Du hast ja gar keine Schuhe vor die Tür gestellt.»
    Wie kann ein Mensch um diese Uhrzeit nur schon so gute Laune haben? Ich habe es bisher nur aus dem Bett bis zur Tür geschafft und Lea sieht aus, als hätte sie bereits eine Runde durch die Stadt hinter sich: zwei große Einkaufstüten, zwei Pappbecher, die einen verlockenden Kaffeeduft verbreiten, dazu noch eine Tüte vom Bäcker an der Ecke. Dabei ist es doch erst kurz nach elf Uhr! Ich reibe mir übermüdet die Augen und trete einen Schritt zur Seite.
    «Was zum Henker machst du hier?»
    Mit einem breiten Lächeln nimmt sie ihre Strickmütze vom Kopf und geht direkt in die Küche. Ich liebe Lea. Sie ist meine beste Freundin und in den meisten Fällen immer für mich da. Wenn es mir mies geht, kann ich mich darauf verlassen, dass sie neben mir steht und ich nicht alleine durch die Scheiße gehen muss. Aber heute würde ich wirklich gerne einfach wieder zurück ins Bett kriechen und keinen Menschen sehen müssen. Aber ich kenne sie zu gut und zu lange, sie wird sich von mir nicht abwimmeln lassen. Schon gar nicht heute. Barfuß und lustlos schlurfe ich hinter ihr her und sehe, wie sie die Rollläden ungefragt hochzieht und somit den Rest des Tages auch in die Wohnung lässt.
    «Ich bin noch nicht so weit!»
    Mein Protest ist ein letzter Versuch, den Tag auszusperren und nicht in die ätzende Realität stolpern zu müssen.
    «Das kann ich sehen.»
    Sie wirft mir einen musternden Blick zu. Mein verwaschenes T-Shirt vom letzten Melt! Festival und die schlichten, grauen Boxershorts dürften kaum ein weibliches Wesen von meiner Attraktivität überzeugen.
    «Damian, komm schon! Du kannst dich nicht verkriechen!»
    «Ich verkrieche mich gar nicht. Ich bin krank.»
    Eine Lüge. Aber nur, wenn man sie vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet. Ich fühle mich krank und der Tag heute macht mich krank. Man darf doch auch rein subjektiv krank sein. Oder?
    Lea scheint mir nicht so recht zu glauben. Sie zieht ihre Jacke und den dicken Schal aus und kommt dann auf mich zu. Ich kenne diesen Blick; den hat sie mir schon damals zugeworfen, als ich mir während meines Praktikums in dieser albernen Redaktion mehr freie Tage erschummeln wollte. Direkt vor mir bleibt sie stehen und sieht mir direkt in die Augen. Jetzt mehr denn je muss ich eine gute schauspielerische Leistung abliefern. Nur stand ich das letzte Mal im Kindergarten auf der Bühne und habe den kleinen Muck in der Theateraufführung gespielt. Leas Hand legt sich auf meine Stirn und mir wird wärmer. Vielleicht ein spontaner Fieberschub? Wenn man sich etwas sehr wünscht, könnte es doch in Erfüllung gehen – oder? Lea trägt ihr Lieblingsparfüm, das sie sonst nur an besonderen Tagen trägt. Nur dann, wenn sie jemanden beeindrucken will. Oder an ihrem Geburtstag. Okay, auch an meinem Geburtstag. Bestimmt auch, wenn sie Tobi verführen will. Etwas an diesem Parfüm macht mich wahnsinnig. Kann man Pheromone wirklich in kleine Flaschen füllen und verkaufen? Kann man. Chanel, Lagerfeld und Davidoff verdienen damit Millionen. Aber Lea ist ein Beispiel dafür, dass nur der richtige Duft an der richtigen Frau diesen Effekt haben kann. Manchmal, wenn ich in der S-Bahn sitze, treffe ich zufällig eine Frau mit genau diesem Parfüm – und dann sehe ich mich suchend um, als hätte mich dieser blöde Duft konditioniert. Was totaler Unsinn ist! Denn es ist nicht der Duft, es ist die Tatsache, dass ich dann immer Lea erwarte. Nur an ihr funktioniert dieser Duft. Nur an ihr. Ich schließe einen Moment die Augen und atme tief ein. Ja, Lea riecht gut. Ausgesprochen gut …
    «Du bist so ein schlechter Lügner.»
    Ihre Stimme ist ganz nah. Ich müsste nur meine Hand ausstrecken und … mich trifft eine sanfte Ohrfeige – –
    «Zieh dich an! Wir müssen noch zu deinen Eltern.»
    Ich öffne die Augen und sehe sie zweifelnd an. Das kann nicht ihr Ernst sein. Sie kann mir heute nicht auch noch in den Rücken fallen.
    «Das geht leider nicht.»
    «Ach, ist das so?»
    «Ich habe schon etwas vor.»
    «Hast du gar nicht!»
    «Glaubst du, ich lüge dich an?»
    Theatralisch greife ich mir an die Brust und setze zu meiner besten Interpretation einer Shakespeare-Figur an. Vielleicht Hamlet? Oder King Lear? Irgendeine Person, die große Gesten benutzt hat. Lea schüttelt den Kopf und wirkt dabei schon leicht genervt. Jetzt schon? Sie ist doch noch keine zehn Minuten bei mir.
    «Damian! Reiß dich zusammen! Wir gehen
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