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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
Autoren: Kai Meyer
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Prolog
    Gestern traf ich den Tod. In Paris hatte man zweitausend Hugenotten ermordet, deshalb war er bester Dinge. Wir sprachen über dieses und jenes, und glaubt mir, er ist ein freundlicher Geselle. Es war nicht das erste Mal, daß er mir erschien. Manchmal kommt er als Frau daher, selten gar als Kind. Meist aber belebt er ein Gerippe, denn er bricht nicht gern mit Traditionen. (Einer, der solchen Pathos liebt, kann kein schlechter Kerl sein, oder?)
    Es hat wenig Sinn, mit ihm über das Wetter zu sprechen. Es berührt ihn nicht. Auf den Pfaden, die er geht, gibt es keinen Regen. Und natürlich keine Sonne. Deshalb ist es manchmal schwer, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Man muß profundere Stoffe als diesen finden, um seine Neugier zu erregen.
    »Wie geht es Euch?« ist wohl die dümmste Frage, die man ihm stellen kann; haltet Euch damit zurück, wenn Ihr ihn trefft. Denn was soll einer wie er darauf erwidern? Vielleicht: »Sterbenselend ist mir heute«? Oder: »Die alten Knochen wollen nicht mehr so wie früher«?
    Sicher wißt Ihr, was ich meine.
    Auch zeigt er sich wenig gesprächig, wenn man ihn zur eigenen Zukunft befragt. Er schätzt es nicht, seine Pläne zu verraten. Und Pläne, ja, die hat er – für jeden von uns.
    Anders steht es mit der Vergangenheit. Denn sie ist es, worin sich der Tod als wahrhaft geschwätzig erweist. Es ist amüsant, mit ihm über alte Zeiten zu plaudern, und ich tue es, wann immer sich unsere Wege kreuzen.
    Gestern also traf ich ihn wieder, und wir kamen schnell ins Gespräch. Ihr kennt das: Nichts ist erfreulicher als seichtes Geplauder über alte Bekannte. »Was macht denn eigentlich…?« – »Und wie ist es… ergangen?« – »Hat… immer noch diese Vorliebe für schweren Wein?« – »So war er schon, als er noch lebte.«
    Ihr müßt wissen, ich habe all meine Freunde überlebt, jeden einzelnen von ihnen. Man sagt, ich sei uralt, und schon wird getuschelt, ich hätte ganz wie mein Meister einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Dabei hat es doch mit meinem Meister – dem ehrenwerten Doktor Faustus – kein gutes Ende genommen, und wenn es denn eine Lektion gibt, die tief in mein Inneres gedrungen ist, so ist es der Schrecken seines plötzlichen Hinscheidens. Ein Verkauf meiner Seele kam fortan nicht mehr in Frage.
    Mein Name ist Christof Wagner, meines Zeichens einstiger Zauberlehrling und Gehilfe des weltberühmten Schwarzkünstlers Doktor Johannes Faustus, Erbe seiner Schätze und Chronist seiner Taten. Man hat mich einen Schmarotzer und Nichtsnutz geschimpft, was ich selbst für verleumderisch halte. Ein wahrer Magus ist wohl nie aus mir geworden, obgleich ich mein Bestes tat, dem Meister an Können nachzueifern.
    Immerhin: Ich erkenne den Sensenmann, wenn ich ihn treffe.
    Während meiner Plauderei mit dem Knöchrigen ging es vor allem um zwei meiner Gefährten, die wichtigsten, und diese beiden will ich Euch vorstellen.
    Der erste, Ihr mögt es ahnen, ist natürlich mein Meister selbst, der arme Doktor Faustus. Sein Ableben war kein erfreulicher Anblick. Der Teufel (oder einer, der ihm ähnlich sah) suchte ihn in seiner Kammer heim, packte ihn an den Füßen und schlug ihn wütend gegen die Wände, bis ihm das Hirn aus den Ohren spritzte. Kein schöner Tod, bei meiner Treu! (Eine Ansicht, übrigens, die der Tod mit mir teilt.)
    Faustus wurde aus dem Schoß einer armen Bäuerin geboren und wuchs bei seinem wohlhabenden Onkel zu Weimar auf. Der schickte ihn schließlich zur Hohen Schule nach Ingolstadt. Doch das begonnene Studium der Theologie vermochte meinen Meister nicht zu fesseln, und so verlegte er sich auf Medizin, Astrologie und Astronomie. Er begann, ein übermäßiges Interesse an allem Magischen und Wunderlichen zu entwickeln, erlernte das Handlesen und allerlei Zaubertricks und entwickelte sich allmählich zum Meister der Schwarzen Künste. (So zumindest besagt es die landläufige Meinung; ich selbst mußte während meines ersten Abenteuers an seiner Seite erkennen, daß es keineswegs allzugut um seine angeblichen Talente bestellt war.)
    Faustus beerbte den reichen Onkel, verpraßte einen Großteil seiner Schätze und verlegte sich darauf, trotz seines Titels eines doctor medicinae, über die Jahrmärkte zu ziehen und das dumme Volk mit einträglicher Gaukelei zu narren. Mal schlief er im Freien, mal im Himmelbett eines Landesfürsten – denn als sich sein Ruf herumsprach, schätzten ihn die Mächtigen mehr und mehr als Berater.
    Eine Weile lang konnte
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