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Hochgefickt

Titel: Hochgefickt
Autoren: Nathalie Bergdoll
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dezent die Augen, weil er wusste, dass ihm solche Fragen die Rückkehr zum eigentlichen Erzählstrang nachhaltig erschwerten. Meine Mutter kam nämlich gerne und ausdauernd von Hölzchen auf Stöckchen, und das erst recht, wenn man sie auch noch leichtfertig darum bat.
    »Och, über alles Mögliche, über Gott und die Welt, über das Leben und die Männer … Frau Stahlke liebte es auch sehr, wenn ich ihr von unseren Reisen erzählt habe – die hatte mir sogar einen richtig guten Fotoapparat geschenkt, von ihrem verstorbenen Bruder, und teure Farbfilme, damit sie auch was zu gucken hatte, wenn ich von den ganzen fremden Ländern und Leuten erzählt hab. Du kennst doch die drei dunkelgrünen, alten Fotoalben von Papa und mir – die hat alle Frau Stahlke für uns geklebt, da hatte die Spaß dran! Das war überhaupt eine so tolle Frau, die hatte sich bis ins hohe Alter in ihrem Blick immer noch die Neugier und das Lachen erhalten – obwohl das Schicksal nicht nur gut zu ihr war …«
    Nach einer kurzen Kunstpause schaltete sie in den Friseurmeister-Tuschel-Ton-Modus um: »Weißt du, der Armen war nämlich ihre große Liebe Heinrich im Krieg gefallen, und vor lauter Trauer hat sie dann auch noch ihr ungeborenes Kind verloren, eine ganz tragische Geschichte war das. Daher ist sie nach dem Ersten Weltkrieg als Offizierswitwe kinderlos und unfruchtbar im Haus ihres älteren Bruders eingezogen, der war Fotograf hier in der Eifel. Aber die anderen Frauen im Ort waren so neidisch auf ihre Schönheit, ihre vielen Verehrer und ihren Wohlstand, dass sie von allen als böse Hexe beschimpft und gefürchtet wurde; 1926 wurde sie tatsächlich …«
    »Renate, das Kind wollte von unserer Hochzeit hören und nicht Frau Stahlkes komplette Lebensgeschichte!«, versuchte mein Vater dann für gewöhnlich den Erzählrausch meiner Mutter irgendwie zu drosseln. Gelang ihm aber nie.
    »Das hängt doch alles zusammen!«, echauffierte sie sich dann, »die Kleine soll ganz genau wissen, wie das war, sonst kriegt die ein völlig falsches Bild von uns. Willst du, dass dein Kind später über uns sagt, wir wären Erbschleicher gewesen?«
    Das wollte er natürlich nicht, und zu ihrer beider Ehrenrettung ließ er wenigstens halbwegs geduldig meine Mutter ihren Ausführungen frönen. Durch dieses Ritual erfuhr ich nicht nur eine Menge über Frau Stahlke, sondern bekam zusätzlich einen Eindruck der analytischen Fähigkeiten meines Vaters. Während Mama mir die notwendigen Hintergrundinformationen über ausgeschmückte Episoden mitzuteilen versuchte, resümierte Papa nämlich die Essenz ihrer Monologe anschließend knapp und präzise in wenigen Sätzen.
    »Also Lienchen, die beiden mochten sich so, weil sie sich unabhängig vom Alter sehr ähnlich waren in ihrem Wesen und in ihren Wertvorstellungen. Außerdem sah Frau Stahlke in Mama die Enkelin, die sie immer gerne gehabt hätte; und deine Mutter konnte, weil sie offen und unvoreingenommen war, von der Lebensweisheit der alten Dame profitieren.
    Als wir Anfang 1969 mit dem Blitz in Italien unterwegs waren, bekamen wir Nachricht von einem Notar, dass wir uns dringend bei ihm melden sollten. Ich hab dann da an angerufen, und der Notar sagte, dass Frau Stahlke plötzlich verstorben sei und sie für Mama einen Brief hinterlegt hätte.«
    »Ich hab so geweint, wie ich das gehört hab, zwei Wochen vorher war ich noch bei ihr gewesen, und die war fit wie immer! Wir haben über Hochzeiten gesprochen, die Frau Stahlke meinte nämlich immer, wir sollten doch endlich heiraten, wir wären so ein schönes Paar, genau wie sie und Heinrich. Naja, und dann hat der Notar mir am Telefon diesen Brief vorgelesen …«
    »Bitte holt den Brief, holt den Brief!!«
    Der Brief hing nämlich gerahmt am Kamin, und Mamas Blick funkelte beim Vorlesen immer so schön.
    »›Meine liebe Renate, deine Besuche sind mir immer ein Fest, du bist so herrlich lebendig und offen. Auch gestern hatten wir wieder großen Spaß, aber ich sage dir noch mal: Du musst keine Angst vorm Heiraten haben! Eheliche Langeweile, so ein Blödsinn … Deine Ehe wird immer wild sein, ob ohne Trauschein oder mit, das hast du einfach im Blut, so was sehe ich.‹«
    An der Stelle gab mein Vater meiner Mutter gerne einen Klaps auf den Hintern oder packte ihr herzhaft an den Busen, stets verbunden mit einem lustigen Grunzlaut, und Mama lachte dann immer ihr perlendes Lachen.
    »Günther, bitte, ich muss doch weiterlesen …!«, wurde er zwar mit gespielter
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