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Schatzfinder

Schatzfinder

Titel: Schatzfinder
Autoren: Hermann Scherer
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»ER WAR EIN GUTER MENSCH«
    Es war heiter bis wolkig. Die Trauergemeinde musste bei 7,9 Grad Celsius weder frieren noch schwitzen.
    In der Aussegnungshalle wartete der Sarg aus Kiefernholz (Modell 135HK, 1045,00 Euro) neben einem recht geschmackvollen, hellen Blumengebinde (»In tiefer Verbundenheit«, 74,00 Euro zzgl. Lieferkosten) mit weißen Gerbera und Rosen und einem etwas kitschigen, tiefroten Gesteck (»Aufrichtige Anteilnahme«, 95,00 Euro zzgl. Lieferkosten) mit roten Gerbera und Rosen.
    Leises Flüstern, hier und da ein Schluchzen oder ein Schnäuzen und die Schritte der ankommenden Trauergäste füllten den halbhohen Raum. Die dunkel gekleideten Freunde und Verwandten des Toten nahmen ihre Plätze ein und warteten auf den Beginn der Trauerfeier. Es waren nicht viele gekommen. Aber es blieben auch nicht viele Plätze frei. 77 Jahre alt war Peter Müller geworden. Seine Witwe saß stumm in der Mitte der ersten Reihe.
    Dann setzte die kleine Orgel ein, und die drei Damen aus dem Kirchenchor sangen:
    »Jesus, meine Zuversicht und mein Heiland ist im Leben. Dieses weiß ich; sollt ich nicht darum mich zufrieden geben, Was die lange Todesnacht mir auch für Gedanken macht.« Während des Trauerlieds betrat der Pfarrer den Raum, und nach dem Verklingen der letzten Note begann er den Trauergottesdienst: »Der Friede des Herrn sei allezeit mit euch.« Alle: »Und mit deinem Geiste.«
    Es folgten eine Bibelstelle (»Jesus Christus spricht: ›Lass dir an meiner Gnade genügen …‹«) und ein weiteres Trauerlied (»Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr …«), dann das Eingangsgebet (»Herr, unser Gott, die Wege, die du mit uns gehst, sind uns verborgen …«). Schließlich sprach der Pfarrer zur versammelten Trauergemeinde:
    Liebe Angehörige.
    Sie haben einen wichtigen Menschen verloren. Und Ihr Herz ist schwer.
    Wir verabschieden heute unseren geliebten Freund, Vater, Bruder und Ehemann Michael Müller.
    Ein Abschied, der uns schmerzt. Gewiss, der bittere Schmerz wird im Laufe der Zeit nachlassen, doch der Verlust bleibt ein Leben lang.
    Michael Müller hat eine Schwelle überschritten, einen Weg angetreten, auf dem wir ihn nicht begleiten können. Heute wollen wir der Trauer eine Stimme geben. Wer war er, dieser liebe Mensch? Unvergessen, wie er lächelte, wenn seine Enkel ihn besuchen kamen. Seine unbeschwerte Liebenswürdigkeit beim Gespräch mit den Nachbarn oder im Ladengeschäft. Wir erinnern uns gerne an ihn. An die Güte und Hilfsbereitschaft. An seine Treue und Verlässlichkeit als Ehemann und Familienvater über so lange Jahre, über die Höhen und Tiefen des Lebens hinweg. Wir sind dankbar für manches gute Wort, für ein Lächeln, für einen Mut machenden Rat. Jede und jeder von Ihnen wird wohl solch einen Satz aussprechen können.
    Viele seiner Arbeitskollegen werden sich auch heute noch, fast 15 Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben, an ihn erinnern als anerkannten und geschätzten Fachmann, als verantwortungsvollen Elektromeister, der in seiner Laufbahn viel Gutes tat und stets mit Fleiß und Tugend ein echtes Vorbild war.
    Uns alle bewegt in dieser Stunde auch der Dank, einen ganz besonderen Menschen gekannt zu haben. Wie gern hätten wir mehr Zeit mit ihm verbracht. Lassen Sie uns einen Augenblick schweigen – zur Erinnerung an Michael Müller.
    Er lebte still und unscheinbar, er starb, weil es so üblich war.
    Er lebte still und unscheinbar, er starb, weil es so üblich war. Ein Mensch ist nicht vergessen, solange er in unserem Herzen wohnt.
    Alles im Leben hat seine Zeit, die der Liebe, des Glücks und der Freude, die Zeit des Leidens und der alltäglichen Sorgen.
    Ist es vorbei … bleibt doch die Liebe beständig.« Die Rede klang wie ein ausgefüllter, schablonierter Lückentext eines Download-Formulars von www.beileid.de , und das Schluchzen einiger der Anwesenden wurde lauter. Dann setzte die Orgel wieder ein: »Wer Gott vertraut, hat wohlgebaut …«
    Ein paar Lieder und Gebete später erhoben sich die Trauergäste und schlossen sich dem kurzen Trauerzug hinter dem Sarg an, der von den ehrenamtlichen Friedhofsdienern zur offenen Begräbnisstelle getragen wurde.
    Eine Dame mittleren Alters raunte der neben ihr schreitenden Dame mittleren Alters leise zu: »Hast du das gemerkt? Er hat den falschen Namen gesagt.«
    Die andere Dame nickte und flüsterte hinter vorgehaltener Hand: »Ja, er hat Michael Müller gesagt. Statt Peter Müller. Peinlich. Aber bei so vielen
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