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Schatzfinder

Schatzfinder

Titel: Schatzfinder
Autoren: Hermann Scherer
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anzurühren, das Bild unserer Träume zu malen. Nein, wir kritzeln nur so vor uns hin und teilen uns dieselben grauen Farben mit unseren Lebensnachbarn links und rechts von uns. Der Galerist unserer Lebenswerke könnte unsere Bilder vermutlich genauso wenig auseinanderhalten wie der Durchschnittsarbeitnehmer seine Arbeitstage: einer wie der andere. Einen Beruf zu haben bedeutet für viele, wieder und wieder dasselbe zu tun – so lange, bis man es am liebsten gar nicht mehr tun möchte.
    Wie wäre es, wenn jeder Tag unseres Lebens katalogisiert werden würde? Facebook macht das ja schon ein wenig mit der »Chronik« genannten chronologischen Übersicht über die Lebensereignisse und Postings der Nutzer. Wenn alles aus unserem Leben festgehalten würde – unsere Gefühle, die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, zusammenleben, die Dinge, die wir tun –, wenn einfach alles aufgezeichnet werden würde und dann am Ende unseres Lebens sämtliche Aufzeichnungen in ein Museum gestellt werden würden, in dem all das – unser Leben – zu sehen ist. Wie sähe dann dieses Museum aus? Wäre es einen Besuch wert?
    Wenn wir einen Großteil unseres Lebens damit verbringen, einen Job zu machen, der uns nicht gefällt, dann wäre auch ein Großteil unseres Museums mit Bildern und anderen Fragmenten eines Jobs ausgestattet, den wir nicht haben wollten. Wäre das also ein interessantes Exponat?
    Wenn wir freundliche, glückliche, optimistische, lebensbejahende Menschen wären, dann wäre unser Museum auch voll von freundlichen, glücklichen, optimistischen, lebensbejahendenBildern. Wenn wir aber missmutig, traurig, depressiv und frustriert wären, dann würde auch die Ausstellung in unserem Museum diese Wirkung beim Betrachter erzielen.
    Wie würden wir uns fühlen, wenn wir am Ende unseres Lebens in ein solches Museum gehen würden, von dem viele auch behaupten, dass es als eine Art schnell durchlaufender Film im Moment unseres Todes (falls wir ihn im Wachzustand erleben) tatsächlich in gewisser Hinsicht existiert?
    So ein Museum würde uns so präsentieren, wie wir wirklich sind. Die Erinnerungen würden nicht auf dem Leben basieren, das wir uns erträumt hätten oder an das wir uns beschönigend, zensierend, retuschierend erinnern, sondern die Erinnerung wäre genauso, wie wir tatsächlich gelebt haben. Und wenn wir nicht richtig gelebt haben, dann wären die Exponate unserer Lebenstage: langweilig!
Die beste Ausrede
    Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht dazu geboren werden, das Leben zu verleumden, sondern um es zu feiern.
    Also, warum ist das so? Diese Frage hat mich umgetrieben, denn wenn ich darauf die richtigen Antworten finde, halte ich damit den Schlüssel in der Hand, um die richtige Tür zu öffnen, anstatt weiter im Wartesaal zu hocken. Mein Instinkt sagt mir, dass es eine Sünde wäre, diesen Schlüssel nicht zu benutzen und nicht weiterzugeben. Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht dazu geboren werden, das Leben zu verleumden, sondern um es zu feiern. Warum nur tun wir es nicht – oder zumindest so selten?
    Die erste oberflächliche Antwort ist die Feigheit, sich zu blamieren. Natürlich, die zweite oberflächliche Antwort liegt auch gleich auf der Hand: Wir werden von der Welt, die uns umgibt, schon als Heranwachsende zu Kleingeistern gemacht. Es liegtklar vor unseren Augen, dass unsere Eltern, die Schule und die Gesellschaft uns insgesamt im Laufe der Jahre zurechtstutzen, kappen, rundfeilen.
    Denn wenn ein Kind begeistert davon schwärmt, einmal Oscar-Preisträger, Wetten-dass-Moderator oder Mondfahrer werden zu wollen, lächeln die Eltern müde und fragen, ob das Kind seine Hausaufgaben schon gemacht hat. Kinder lernen überraschend schnell, dass ihr Leben nach offenbar übereinstimmender Meinung der Erwachsenen nicht dazu da ist, Träume zu verwirklichen. Wie schrecklich.
    Das Grundprinzip der Mittelmäßigkeit, das mit Einverständnis der Eltern in allen Lehrplänen und Beschlüssen der Kultusministerkonferenz codiert ist, lautet: Das herkömmliche Verfahren ist auch das sicherste Verfahren. Es ist bereits getestet, es liegen Erfahrungswerte vor, und wenn es einmal funktioniert hat, wird es auch ein weiteres Mal funktionieren.
    Muss ein hervorragender Gehirnchirurg wirklich in der Lage sein, gute Erdkundeaufsätze zu schreiben, und die römische Geschichte auswendig gelernt haben?
    Ein Schulsystem, das die Schüler anhält, dort am meisten zu lernen, wo sie die schlechtesten Noten haben – und
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