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Schatzfinder

Schatzfinder

Titel: Schatzfinder
Autoren: Hermann Scherer
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brav darauf geachtet, keine Strophe falsch zu singen. Man kam sich vor wie in der Kirche, bei der man immer noch schnell die Liednummer von der Anzeige abliest, in der Hoffnung, das richtige Lied mitzusingen oder das entsprechendeGebet zu finden. Es war ein Trauerspiel. Hätte man für 400 Euro nicht einmal fünf Luftballons aufblasen können? Oder vielleicht eine klitzekleine Party machen können? Oder einen Kinder-Drink ausgeben können? Oder wenigstens ein Kasperletheater, einen toten Frosch, einen Zaubertrick, Kostüme oder ein paar Knallfrösche oder ich weiß nicht was machen können, um Kindern den Zauber der Kindheit zu zeigen?
    Meine Tochter ist cool.
    Sie stand irgendwann auf, ging zur Garderobe, zog sich die Schuhe an und schaute mich fordernd an. Ihr Blick sagte: Auf geht’s, Papa, hier ist’s langweilig, wir gehen! Ich kapierte es. Wir gingen. Sie hätten die Blicke der Mütter und der Vorsängerin sehen sollen! Reinste Mordlust!
    Ich lebe an Zürichs Goldküste, sicherlich eine der schönsten und reichsten Gegenden Europas, direkt am Zürichsee. Dort war auch dieses »Event« für Kleinkinder angeboten worden. Und dort, wo es alle, wirklich
alle
Möglichkeiten der Welt gäbe, dort werden kleine Kinder schon im Alter von zwei Jahren zu regelbewussten, unkommunikativen, einsamen Menschen gemacht und erleben in der Singgruppe die Vorboten einer Sklavenschaft des Reglements. Warum? Weil die Eltern Institutionen vertrauen.
    Es ist ein großes Risiko, selber zu denken und dem Herzen zu folgen.
    Es kostet viel mehr Mut und Energie, sich nicht unterzuordnen. Es ist furchtbar anstrengend, den eigenen Weg zu suchen. Und es ist auch ein großes Risiko, selber zu denken und dem Herzen zu folgen. Das Einzige, was dann sicher ist: Es wird Ärger geben! Also kapitulieren wir schon früh im Leben und werden regelkonform. So werden Kinder zu institutionalisierten Leibeigenen des Gemeinwesens abgerichtet, Menschen,die gegen ihren ursprünglichen Willen angepasst und geradezu sediert werden durch permanente Konditionierung.
    Ich habe schon etliche Geschichten dieser Art gehört. Jeder, der Kinder hat, weiß irgendeine zu erzählen. Da ist der Junge, der sich in der Grundschule weigerte, im Deutschunterricht Blümchen rund um den Brief zu malen, der ihm als Hausaufgabe aufgegeben war. Er schrieb zwar den besten Brief von allen, bekam aber trotzdem eine Fünf, weil der Brief nicht so schön verziert war wie die anderen, er sich also nach Meinung der Lehrerin keine Mühe gegeben hat. Nach dieser Episode hat er gelernt: Im Deutschunterricht geht es nicht um die deutsche Sprache, sondern um die ästhetischen Erwartungen der Institution Lehrerin.
    Und so lernt man im Kindergarten das Bienchenheft oder die Seepferdchen, in der Schule sammelt man Blümchen und dann als Manager Meilen bei der Lufthansa.
    Nun werden die Blümchen besser und die Aufsätze schlechter. Und so lernt man im Kindergarten das Bienchenheft oder die Seepferdchen, in der Schule sammelt man Blümchen und dann als Manager Meilen bei der Lufthansa.
    Oder die Erstklässlerin, die von der Lehrerin wissen wollte, wie man »Ball« schreibt. »Vertraue auf deine Ohren« antwortete die Lehrerin. Das Mädchen hatte aber bereits den Verdacht, dass das Wort sich anders schreibt, als es ihm die Ohren sagten. Die Ohren sagten »B – A – L«. Das Wort sah in seiner Erinnerung aber irgendwie anders aus: »Nein, nicht wie die Ohren sagen. Welche Buchstaben sind richtig?« Die Lehrerin verweigerte: »Nein, das ist falsch, du musst genauer hinhören.« Als das Mädchen wütend wurde, weil es merkte, dass es hier veräppelt wurde, bekam es erst recht keine Antwort auf seine Frage, sondern einen strengen Verweis, und die Eltern wurden zum Gespräch einbestellt, weil das Sozialverhalten des Mädchens nicht in Ordnung sei. Sehr richtig: Dem Lehrer zu widersprechen ist schlechtes Sozialverhalten – jedenfalls aus der Perspektive der Institution Schule. Eltern und Lehrer müssen dann an einem Strang ziehen und dem Mädchen beibringen, sich unterzuordnen. Sonst wird nie was aus ihm!
    Ich könnte seitenweise solche Beispiele erzählen, wohl wissend, dass es auch engagierte, wohlwollende, herzliche und ihren Beruf liebende Lehrer gibt. Es gibt aber auch die beschriebene Sorte Lehrer oder Erzieher – jedenfalls bekomme ich ständig davon erzählt. Und ich habe es ja auch selbst erlebt. Ich weiß, warum ich damals von der Schule geflogen bin, und heute bin ich froh darum, mir
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