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Die Maggan-Kopie

Die Maggan-Kopie

Titel: Die Maggan-Kopie
Autoren: Jacqueline Montemurri
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Prolog
     
     
     
    Heute
 
    Der Novemberregen prasselte an die Fensterscheiben der kleinen Klinik am Westrand der Eifel. Ger a de ging die Sonne unter, doch Angela sah nichts als die schwarzen Wolken und die kleinen Lichtpunkte der Laternen auf dem wasserüberfluteten Parkplatz. Sie fühlte sich so allein – allein gela s sen von der Welt, von Gott, falls es ihn überhaupt gab. Schon seit einigen Wochen trug sie das Kreuz nicht mehr um den Hals, das sie seit ihrer ersten Kommunion b e gleitet hatte. Sie hatte kein Vertrauen mehr. Was war das für ein Gott, der ihr das Liebste nahm, was sie besaß? So einen Gott konnte es nicht geben, also beschloss sie für sich, dass es überhaupt ke i nen gab.
     
    Das leise rhythmische Piepsen des EKGs wirkte beruhigend. Es bedeutete Leben, doch sie wusste, dass Lars’ Leben nur noch von kurzer Dauer sein würde. Sie hatten die letzten fünf Jahre so sehr gkämpft – umsonst. Die Natur war stärker. Sie war der wahre Herrscher dieses Planeten. Nicht der Mensch, der glaubte, nur weil er ein paar hochtechnologische Geräte erfunden hatte, Gott zu sein. Er konnte das Leben zwar manchmal verlängern, doch er konnte den Tod nicht ausmerzen. Niemals. Er gehörte ei n fach dazu.
    Die Brust ihres Mannes hob und senkte sich im Rhythmus der Maschinen. Hoch und runter, ein- und ausatmen. Piep ... piep ... piep, der Rhythmus des Herzens. Ein Herz, das nicht sein eigenes war, und das auch beschlossen hatte, nicht seines zu werden. Sein Körper wollte es nicht. Wollte das teure O r gan, auf das sie vier Jahre lang gewartet hatten, nicht haben, stieß es einfach ab. Dabei hatten die Werte so gut übereingestimmt, sehr gut sogar, doch nicht gut genug.
    Es klopfte. Die Tür öffnete sich und eine Schwester trat ein.
    „Kann ich noch etwas für Sie tun, Frau Olländer?“, fragte sie. Die junge Frau blickte immer noch auf die Scheibe des Fensters. Sie drehte sich nicht um, so n dern antwortete dem Spiegelbild der Schwester: „Nein, alles in Ordnung.“ Das war gelogen, doch wer konnte schon ihren Schmerz nachvollziehen. Sie wollte allein sein, wollte bei Lars sein.
    „Sie sollten jetzt nach Hause gehen“, drängte die Schwester sanft. Sie hatte schon viele Angehörige von sterbenden Patienten erlebt, kannte den Kummer und wusste, dass es eine Phase des Tröstens und eine Phase des Aussprechens gab. Doch Angela war über all diese Phasen hinweg. Sie fühlte sich taub, konnte nicht mehr weinen. Sie hörte die Worte der Frau kaum.
    „Welches Datum ist heute?“, fragte sie.
    „Der 12. November“, antwortete die Schwester.
    „In vier Monaten hätten wir unseren sechsten Hochzeitstag gehabt“, e r zählte sie. Doch sie erzählte es weniger der fremden Frau als sich selbst.
    Was hatte das Leben nun noch für einen Sinn? Sicher, da waren Sven und Jan, die dreijährigen Zwilli n ge. Sie gaben einen gewissen Halt. Doch sie verstanden noch nicht, was geschah. Ihre Großmutter kümmerte sich seit einigen Wochen um sie. Angela hatte einfach nicht die Kraft mit den Kindern zu spi e len und zu lachen. Sie würde am liebsten mit Lars gehen. Doch das durfte sie nicht. Das Leben war genauso erbarmungslos wie der Tod. Es ging einfach weiter. Sie mus s te stark sein und an ihre Kinder denken. Das war einfach g e sagt. Sie stand da und konnte nur auf den Tod ihres Mannes warten. Das war nicht fair! In ihre Verzweiflung mischte sich Wut, ohnmächtige Wut. Sie hatten so lange gekämpft, hatten Freudentr ä nen vergossen, als endlich ein Spenderherz gefunden worden war. Nein, das war nicht fair! Aber wer konnte schon bestimmen, was fair war und was nicht? Die Natur hatte ihre eigenen Gesetze. Denen musste auch der Mensch gehorchen. Auch wenn er sich als Herrscher über Himmel und Erde sieht, ist er es doch nicht.
    Die Schwester überprüfte die Überwachungsgeräte des Patienten. Dann ging sie zu Angela und legte ihr die Hand auf die Schulter.
    „Gehen Sie nach Hause. Schlafen Sie ein paar Stunden! Sie können hier doch nichts tun.“
    „Nein, leider nicht. Wissen Sie, ich habe einen Garten. Wenn eine Pflanze ei n geht, züchte ich einfach eine neue. Wenn ich das doch auch mit Organen tun könnte“, sagte sie mit einem bitteren Lächeln.
    „Ja, das wäre ein Segen für die Menschheit.“
    Das rhythmische Piepsen ging plötzlich in einen Dauerton über, der Bildschirm zeigte eine flache L i nie.
     

Die Klinik
     
     
     
    Am Rand des Abgrunds  
     
    Fünfunddreißig Jahre später
     
    „Margareta
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