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Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)

Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Autoren: Andreas Franz , Daniel Holbe
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J ennifer Mason lag nackt auf ihrem Bett. Es war ein gewöhnlicher Futon, eins vierzig breit, weißes Laken. Die hell bezogene Sommerdecke war zerwühlt und hing zu zwei Dritteln auf das nussfarbene Parkett hinunter. Links vom Bett stand eine kleine Kommode, daneben ein Kleiderschrank aus einfach verarbeitetem Birkenholz. Rechts befand sich ein Holzregal, darin eine Stereoanlage und einige CDs, ansonsten glich der schmucklose Raum eher einem Büro als einem Wohnbereich. Weiße IKEA-Regale voll mit Büchern und ein verhältnismäßig großer Schreibtisch, darauf ein halbwegs moderner Laptop und Schreibutensilien. Die vier Halogen-Spots an der Decke vermochten jeden Winkel der zwanzig Quadratmeter grell mit Licht zu durchfluten.
    Keinerlei Romantik im Raum, wie ihre Mitbewohnerin stets zu bemängeln wusste. Adriana Riva, eine hochgewachsene und ausgesprochen attraktive Italienerin, teilte sich die kleine Studenten-WG mit Jennifer und einer weiteren Studentin. Was sie nicht teilten, war die Auffassung vom Studieren. Adriana entstammte einer einfachen Arbeiterfamilie, die schon allein damit zu beeindrucken war, dass ihre Tochter überhaupt eine Hochschule besuchte. Sie finanzierte das Studium mit einem lukrativen Nebenjob bei einer Eventagentur und kannte die Rhein-Main-Partyszene in- und auswendig. Für Jennifer hingegen, die einen älteren Bruder mit steiler Laufbahn in der Armee und einen hochgebildeten Vater hatte, war es keine Selbstverständlichkeit, ein Auslandsjahr in Frankfurt verbringen zu dürfen. Ihre Noten hatten perfekt zu sein, sie musste jeden Leistungsnachweis nach Hause schicken. Die einundzwanzigjährige Kanadierin ließ sich daher nur selten zu Discobesuchen oder ausschweifenden Semesterpartys überreden, sondern konzentrierte sich voll und ganz auf das Studium. Umso mühsamer war es für Adriana gewesen, sie davon zu überzeugen, wenigstens zu Semesterbeginn eine kleine Feier zu veranstalten.
    »Aber wirklich nur ein paar Leute!«, waren Jennifers warnende Worte gewesen.
    »Versprochen«, hatte Adriana gesagt.
    »Keine Kiffer!«
    »Nein, keine Kiffer.«
    »Und nicht diese Komasäufer und deren Kumpane!«

    Die dumpfen Bassschläge der Stereoanlage waren längst verklungen, umso intensiver nahm Jennifer nun die grellen, psychedelischen Farben wahr, die sich wie schnell drehende Spiralen in ihre weit aufgerissenen Augen bohrten. Sie fühlte das weiche, schweißnasse Bettlaken im Rücken, doch sie war nicht in der Lage, Arme und Beine zu bewegen. Sie vermochte nicht einmal die Position ihrer Extremitäten mit Gewissheit zu bestimmen und spürte diese erst wieder, als sich zwei Fäuste fest um ihre Handgelenke schlossen. Irgendwann – sie hätte nicht zu sagen vermocht, wie viel Zeit dazwischen vergangen war – bemerkte sie den dumpfen Rhythmus ihres Unterleibs, der ohne ihr Zutun wild zu beben begonnen hatte. Es waren harte, gnadenlose Stöße, deren Inbrunst sie allerdings nicht wahrnahm. Sicher war nur, dass sie es nicht wollte: Sie wollte die stechenden Farben nicht mehr sehen und auch nicht die Fratzen, die sich immer wieder aus ihnen lösten, unangenehm dicht vor ihren Augen. Lüstern bleckten sie die Zähne oder drohten sie mit aufgerissenen Mäulern zu verschlingen. Und dann der brennend heiße Atem und das weit entfernte hysterische Lachen.
    Jennifer war sich sicher, dass sie fliehen musste, doch sie wusste weder vor wem noch wohin. Ein weiterer Stoß durchfuhr ihren wehrlosen Körper, und ein Krampf schien ihren Bauch zu durchziehen. Plötzlich sehnte sie sich danach, ihrem Körper zu entschweben, einfach diese nutzlose Hülle zu verlassen, die sie quälte und nicht entkommen ließ. Wie gerne hätte sie sich den bunten Farben hingegeben, wäre ein Teil des Regenbogens geworden, fern von allem irdischen Leid. Doch das gepeinigte Gefängnis aus Fleisch und Knochen hielt ihre Seele fest umklammert und zwang ihr Stunde um Stunde weiterer schmerzhafter Demütigung auf.
    Endlich aber, als die Farben längst verblasst waren und sich die Sehnsucht nach Wärme in ein Wimmern der Verzweiflung gewandelt hatte, ließ der Peiniger von ihr ab. Ein letztes Mal beugte er sich über sie. Der kalte Stahl am Hals erschreckte sie nicht, und Sekunden später spürte sie eine wohlige Wärme, die sie allen Schmerz vergessen ließ. Das Letzte, was Jennifer Mason wahrnahm, war der Geschmack von Eisen und eine angenehme Schwere.
    Dankbar spürte sie, wie der geschundene Leib ihre Seele freiließ.

Samstag
    Samstag,
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