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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition)
Autoren: Ivonne Keller
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Blockaden zu lösen. Sie wird die Vergangenheit loslassen und zur Sprache finden. Und: Wundern Sie sich nicht, wenn sie den ein oder anderen lustigen Satz fallenlässt, etwas, was sie eigentlich gar nicht wissen kann – die Erinnerungen an frühere Leben zerfallen nicht gleich mit der ersten Behandlung.«
    »Ach herrje«, sagt Johannes und greift sich an den Kopf. Ich glaube, er würde am liebsten gleich wieder gehen.
    »Sollen wir loslegen?«, fragt der Mann, und ich nicke wichtig.
    Sabina nickt auch und hilft mir auf die Liege.
    Auf so etwas lag ich schon mal, aber da war es kälter, und Johannes stand heulend neben mir. Und viele andere lagen auch dort, genauso tot wie ich. Und wie ich hier so liege bei diesem Schamanen, da fahren meine Gedanken Achterbahn, zurück zu dieser Pritsche damals, auf der ich mir schwor, wiederzukommen. Ich musste ja zurückkommen – unmöglich konnte ich Anna allein lassen. Oder Jens.

    Als wir wieder im Auto sitzen, flüstert Sabina Johannes zu: »Denkst du, was ich denke?«
    »Lea … ist … Silvie?«, tippt er sich an die Stirn und wirft mir in meinem Sitz einen amüsierten Blick zu. »So ein Schwachsinn!«
    Sabina sieht ebenfalls zu mir nach hinten, und ich strahle sie an. Oh, ich strahle und strahle und weiß plötzlich gar nicht mehr warum. Was ist denn jetzt wieder mit meinem Kopf los? Wo sind die Gedanken hin?
    Ach ja, klar! Ich klatsche in meine kleinen Hände und rufe: »Siii viiii!«

Einige Monate später
    Anna
    Es gab Tage, an denen sie einen verstohlenen Blick in ihre Nachttischschublade warf und sich fast hineinbeugte, um auch in den hintersten Winkel spähen zu können. Doch diese Tage wurden immer seltener. Meistens ging es ihr sehr gut, was vor allem an Roberts Anwesenheit und an den Tanzkursen lag, die sie mit ihm besuchte.
    Beim Einkaufen hatte er sie für eine Frau aus seinem Tanzkurs gehalten und sie angesprochen. Darüber waren sie ins Gespräch gekommen. Dass es ihr darüber hinaus gutging, lag auch an der Arbeit bei Sabina, die für sie fast so etwas wie eine Freundin geworden war. Die ihre Ideen und Vorstellungen ernst nahm, die sie einfach machen ließ und ihr vertraute. Und an den gemeinsamen Kartenspielabenden mit Brückners, die Robert sehr herzlich als ihren neuen Nachbarn aufgenommen hatten. An diesen Abenden lachten sie alle manchmal so sehr, dass Luna davon aufwachte. Wenn sie dann ins Wohnzimmer kam, um nachzuschauen, was los war, ließ sie sie manchmal noch eine Weile auf ihrem Schoß sitzen und die Karten halten.
    Anna blickte aus ihrem Wohnzimmerfenster hinaus in den Garten, zur Tanne hin und zum Gewächshäuschen. Silvies Todestag jährte sich nun zum sechsten Mal – wenn dieses Datum verstrichen war, ging es ihr wieder besser, ganz sicher. Es war nur gerade eine schlechte Phase, durch die sie durchmusste. Wie hieß es so schön von ihrer Therapeutin: einmal Junkie, immer Junkie. Sie würde ihr Leben lang in Behandlung bleiben. Aber allein um Silvies willen blieb sie dabei. Und natürlich wegen der Mädchen und Robert.
    Wieder blickte sie zur Tanne, die wie ein Mahnmal im Garten stand und sie allezeit an ihre Tat erinnerte. Sie hatte ein Leben auf dem Gewissen – eine Schuld, mit der sie würde leben müssen. Es machte die Sache nicht einfacher. Doch ihre Schuld zu beichten stand außer Frage. Wem würde sie damit einen Gefallen tun?
    Eben.
    Niemandem hatte sie je davon erzählt, außer Herrn Reimer damals, diesem Versicherungsmenschen, den Silvie angeschleppt hatte.
    Warum hatte sie in ihrem wirren Hirn eigentlich Vertrauen zu ihm gefasst? War dieses Risiko eingegangen? Vielleicht hatte sie gehofft, er würde Silvie davon erzählen, und die wisse dann schon, was zu tun war. Aber offensichtlich hatte er sie nicht informiert. Obwohl sie wohl befreundet gewesen waren – immerhin war er auf ihrer Beerdigung erschienen. Und wirkte zutiefst bestürzt über Silvies Tod, fast mehr als alle anderen Anwesenden zusammen. »Warum?«, hatte er immer wieder gefragt und sein verweintes Gesicht schluchzend auf ihrer Schulter abgelegt, in einer abgelegenen Ecke im Gemeindesaal, in die sie sich nach der Beerdigung zurückgezogen hatte. Sie hatte ihm nicht helfen können, war tief in ihrem eigenen Schmerz versunken gewesen und hatte handlungsunfähig und befremdet das Treiben um sie herum beobachtet: ihren schmerzgebeugten Vater, der apathisch vor seinem Stück Kuchen saß und nichts davon anrührte, während ihre Mutter Tortenplatten auffüllte und tapfer
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