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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition)
Autoren: Ivonne Keller
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Arzt gehen, ganz bestimmt.

    An den beiden folgenden Abenden löste ich ein Sudoku nach dem anderen, auch die schweren, die ich sonst gerne mied. Johannes erzählte ich nicht, warum ich das tat, schon lange war allein Jens die Anlaufstelle für meine Gedanken und Sorgen. Dennoch schien er zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Er tätschelte meinen Arm und sagte: »Mensch, schalt doch mal ab, ich denke, du bist so gestresst?«
    Klar, das war ich, aber ich wollte mir doch beweisen, dass mit meinem Gehirn alles in Ordnung war! Und ich hatte auch Angst vor diesem ohnmächtigen Gefühl. Die essenziellsten Dinge zu wissen, etwa wo man hinfährt, wen man anruft, wie die eigenen Kinder heißen – das nimmt man als gegeben hin. Nichts, worüber man nachdenkt.

    Und dann stand ich eines Morgens vorm Haupteingang zu meinem Büro und konnte mich nicht daran erinnern, wie ich dorthingekommen war. Und nicht nur das. Auch an den Rest des Morgens erinnerte ich mich nicht. Waren die Jungs in der Krippe? Hatte ich ihnen Frühstück gemacht, ihnen frische Klamotten angezogen? Hatte ich mich von Johannes verabschiedet? Vorsichtig sah ich an mir hinunter. Ich war angezogen, hatte meine Handtasche dabei. Meine Haarspitzen waren noch feucht, ich musste geduscht haben.
    Der Schock war so groß, dass ich mich vor der Eingangstür niedersetzen musste. Als hätte man mich aus einer anderen Galaxie hierher gebeamt, so fühlte ich mich.
    Und wie ich da so am Boden saß, breitete sich urplötzlich ein wahnsinniger Schmerz in meinem Kopf aus, als treibe man mir einen Nagel durch die Schädelplatte direkt ins Gehirn. Ich ließ meine Tasche zu Boden gleiten, wollte um Hilfe rufen, doch kein Laut kam mir mehr über die Lippen. Ich musste zum Arzt, und zwar schnellstens. Taumelnd versuchte ich, mich wieder aufzurappeln, wollte nach meiner Tasche greifen, doch es ging nicht.
    Kopfüber stürzte ich auf den Beton.
    In der Ferne hörte ich noch das Signal eines Martinshorns, das mit meinen schwindenden Sinnen langsam verebbte.

    Heute geht’s um was Ernstes. Sie sind mit mir unterwegs zu einem Schamanen, ein halbes Jahr mussten sie auf den Termin warten, so überlaufen ist es bei dem. Lange Diskussionen haben sie geführt, ob sie da jetzt hinsollen oder nicht, aber Sabina hat sich durchgesetzt. Keine Ahnung, was so ein Schamane macht, hoffentlich nichts Schlimmes. Wir laufen in das Sprechzimmer des Mannes und nehmen Platz. Der Mann blickt auf einen Zettel und fragt: »Lea Jakobi?« Sabina und Johannes nicken.
    Ich kann mich einfach nicht an diesen Namen gewöhnen. Engel oder Dicke ist mir wirklich lieber.
    Der Mann guckt wieder auf sein Blatt. »Zwei Jahre also. Eine Frühgeburt, sagten Sie?«
    Ich dachte immer, so ein Schamane, der springt um ein Lagerfeuer und murmelt seltsames Kauderwelsch, aber der hier sieht ganz normal aus. Fast wie ein Arzt.
    Sabina nickt: »Acht Wochen zu früh. Davon waren wir vier mit ihr im Krankenhaus. Sie hat inzwischen ganz gut aufgeholt – außer dass sie ein Poporutscher war; gekrabbelt ist sie keine Minute. Was uns die größte Sorge bereitet ist die Sprache. Mittlerweile sollte sie erste Sätze sprechen können. Sie versteht auch alles, definitiv!«
    Ich nicke wichtig.
    »Könnte eine Blockade sein«, sagt der Mann. »Es kommt selten vor, aber wissen Sie, ich hatte solche Fälle schon gelegentlich.« Dann wendet er sich Johannes zu und sagt: »Kennen Sie sich ein bisschen mit Reinkarnation aus?«
    Johannes verschränkt die Arme und wirft Sabina und mir einen verhaltenen Blick zu. »Keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen.«
    Der Mann holt tief Luft: »Jeder Mensch hat sein Päckchen aus der Vergangenheit zu tragen«, erklärt er. »Wir alle kommen auf die Welt und schleppen ein paar Erinnerungen mit uns herum, von denen unsere Umwelt nichts ahnt.«
    Wenn der Mann wüsste, wie recht er hat!
    »Und manche, die können überhaupt nicht loslassen, weil es noch Dinge aus ihrem früheren Leben gibt, die unklar geblieben sind. Offene Fragen, sozusagen. Und mein Eindruck ist, dass diese Geschöpfe erst in der Lage sind, loszulassen, wenn sie mit der Vergangenheit vollständig abschließen konnten.«
    Ich klatsche in die Hände vor Freude. Jawohl! Jetzt, wo mit Anna alles wieder gut ist!
    Sabina wirft mir einen irritierten Blick zu. »Sie meinen wirklich Wiedergeburt?«, richtet sie ihre Frage an den Mann.
    Ich sag’s dir. Wenn man es selbst nicht erlebt hat, glaubt man’s nicht.
    Er nickt. »Ich kann ihr helfen, diese
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