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Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Titel: Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Autoren: Herder
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bedienen hatten.“
    Wer sich verweigerte, verstieß gegen den Komment, galt als Spielverderber. Heute ist es genau umgekehrt.
    In einer Zeit, als die meisten Leute VW Käfer oder Opel Kadett fuhren, die besser Gestellten einen Opel Rekord oder gar einen Diesel-Benz, spiegelten sich Klassen, Charakter und Geschlecht in Zigarettenmarken. Dunhill oder Roth-Händle waren die Marken für das Großbürgertum und den deutschen Adel. Weil der Tabak besonders stark war, galten sie als besonders ungesund, aber eben auch als besonders schmackhaft. Man gönnte sich den Luxus, besonders intensiv zu sündigen. Peter Stuyvesant sprach die Neureichen an, die Aufsteiger des Wirtschaftswunders. Während die Wohlsituierten ihr Vermögen lieber verbargen, stellten es die Neureichen gern zur Schau. Sie besaßen vielleicht keine schicken Kleinflugzeuge, wie es die Peter-Stuyvesant-Werbung ihnen suggerierte, aber sie trugen imagekonform weiße Rollkragen-Pullover und fuhren Sportcoupés.
    Weil das Wirtschaftswunder nicht allen ein Sportcoupé bescherte, bedurfte es auch der Zigaretten für weniger Betuchte. Die Männer unter ihnen griffen zu Marlboro und Camel, die Frauen zu HB und Lord. Marlboro und Camel versprachen Outdoor-Erlebnisse mit Cowboys in der Prärie. Die dünnen, längeren Zigaretten der Marke „Eve“ wiederum waren reichen, kinderlosen Frauen vorbehalten, die sich am hohen Einkommen ihrer Männer freuten und nicht wussten, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollten.
    Auch die Art zu rauchen offenbarte Rasse und Klasse (oder ließ beides vermissen). Frauen, die nach Zigarettenspitzen griffen, machten nur Eindruck auf Männer, die auf Frauen standen, die mit Zigarettenspitzen rauchen. Die Zigarettenspitze erinnertean den kurzhaarigen, strengen, zugleich souveränen Frauentyp der zwanziger Jahre.
    Männer, die Stuyvesant rauchten, drückten die Zigarette aus, nachdem sie den Glimmstängel zu zwei Dritteln abgebrannt hatten. Eine Stuyvesant zu rauchen war Pose, und ihr generös frühes Ende ein Teil davon. Anders behandelt wurde eine HB: Sie konnte – ihrem Werbeslogan nach ideal, um Stress abzubauen – nie lang genug sein. Wer sie rauchte, rauchte sie auf bis zum Filter.
    Eine Zigarette war weit mehr als ein Utensil, sie war treue Begleiterin im Alltag. Luc Sante nennt Menschen mit einer besonders innigen Beziehung zu ihr: Häftlinge, Nachtwächter, Vorarbeiter in Hafendocks, Filmschauspieler, Assistenten von Totengräbern, Rollenvertreter im Theater, Schriftsteller oder all die, die in einer Bude arbeiten, Touristen Souvenirs verkaufen oder die Schlaflosen des Viertels mit Kaffee – und Zigaretten – versorgen. „Die Zigarette ist ein Freund, der einem die Zeit vertreibt, Konzentration und Gedächtnis schärft, unklare Gefühle kanalisiert, den Dingen ihre Kanten nimmt und sie notfalls auch vernebelt.“
    So empfanden es im vergangenen Jahrhundert auch viele Deutsche. 1936 lag der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland bei 571 Zigaretten, 1966 bei 2214. In den Sechzigern erlebte die Zigarette ihre beste Zeit: Im Bewusstsein der Raucherinnen und Raucher wurde keine Sucht bedient, sondern ein Lebensstil zelebriert. Wer rauchte, lebte selbstbestimmt, lässig, genussvoll und gesellig.
    In der Einsamkeit galt die Zigarette als unentwegter Begleiter, in Gesellschaft wurde sie zum Verbündeten, weil sie eine Brücke zwischen Menschen schuf. Eine Frau traf einen Mann. Eine Frau traf eine Frau. Ein Mann traf eine Frau. Ein Mann traf einen Mann. Unmöglich zu zählen, wie viele Paare über ein „Rauchen Sie eine mit?“ zueinandergefunden haben.
    Rainer Werner Fassbinder hat diese Zeiterscheinung in der Fernsehreihe „Acht Stunden sind kein Tag“ nachgestellt: Protagonistin und Protagonist lernen sich am Zigarettenautomaten kennen. Sie kommen ins Gespräch, und er nimmt sie mit zu sich nach Hause. Ihre Beziehung begann damit, dass sie beide rauchten.
    Raucher führen oft gekonnt Regie. Mit dem Griff zur Zigarette, dem Entflammen eines Streichholzes lassen sich Spannungsmomente erzeugen oder Kunstpausen einstreuen, Nervosität überspielen. Den Arm lässig aufgestützt, wird die Hand mit der Zigarette zur Maske. Die Art und Weise, wie jemand an der Zigarette zieht, wie sie zwischen den Fingern liegt und wie ihr Rauch ausgeblasen wird – dieses und vieles mehr gehört zur Choreografie des Rauchens, zum Instrumentarium des Rauchers, der anderen Menschen begegnet und auf sie Eindruck macht.
    Helmut Schmidt erweckt den
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