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Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Titel: Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Autoren: Herder
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immer noch Süchtige sind nicht erlaubt. Sogar in Bierzelten wie auf dem weltbekannten Oktoberfest steigen keine Rauchwolken mehr auf !
    Auf die Reformation folgt eine Gegenreformation, doch sie währt kurz. Die Staatsregierung verschiebt das Vorhaben für ein paar Monate.
    Ruhe kommt erst in die Sache, als eine Nichtraucherinitiative einen Volksentscheid durchsetzt. Am 4. Juli 2010 stimmen 61 Prozent der Wählerinnen und Wähler für einen Gesetzentwurf, der für alle öffentlichen Räume und die Gastronomie ein Rauchverbot ausspricht. Auch in Bierzelten darf dann nicht mehr geraucht werden, genauso wenig in „Einraumkneipen“ oder selbst in gesonderten Raucherräumen von Kneipen.
    Damit sind – zunächst in Bayern, demnächst in allen Bundesländern – die letzten zwei Schlupflöcher für Raucherinnen und Raucher zu. Aber wohin mit ihnen? Aus dem Haus hinaus! Vor die Tür!
    „Eine gewisse Atmosphäre von düsterem Heroismus hängt draußen vor dem Eingang des Restaurants, wo Leute, die sich niewieder begegnen werden, frierend die raue Kameradschaft des Exils teilen und vor sich hin paffen“, schreibt Luc Sante.
    Es ist traurig anzusehen, wie armselig diese Tapferen nunmehr ihrem Genuss frönen und ihrer Sucht huldigen müssen. Sie bilden die Kulisse des Alltags für Großstadtflaneure und säumen die Dorfstraßen, stets im Blick vorbeifahrender Gaffer.
    Was geht in den Menschen vor, die solcherlei auf sich nehmen? Die gemeinsame Rauchwolke erzeugt Solidarität. Raucher reagieren mit einem rebellischen Trotz, genießen das Image des versprengten Grüppchens aus einer Ära, in der vieles besser gewesen ist. Sie machen ihr Ding. Sie leben unverdrossen einen Arbeitsrhythmus, der die „Zigarettenpause“ als wichtigste Zeiteinheit kennt. Sie widerstehen dem Zeitgeist. Sie sitzen ihn nicht, sie rauchen ihn aus.
    Wir kennen nicht vorhergesehene, weltumspannende, unerklärliche Phänomene in der politischen Geschichte der Menschheit, etwa den Zusammenbruch des „Ostblocks“ Ende der achtziger Jahre, der unter anderem zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten geführt hat. Wie ein Kartenhaus fiel der Gegner im langjährigen „Kalten Krieg“ in sich zusammen. Die Auflösung des kommunistischen Regimes ging nicht immer glimpflich ab, aber doch glimpflicher, als die Umstände erwarten ließen. Auf dem Gebiet der früheren DDR zum Beispiel fiel kein einziger Schuss.
    Es gibt aber auch nicht vorhergesehene, weltumspannende, unerklärliche Phänomene in der Kulturgeschichte dieser Menschheit, und zu ihnen gehört der Niedergang der Rauchkultur – ein Niedergang in kurzer Zeit und in radikaler Weise. Beides war nicht zu erwarten.
    Dieser Niedergang drückte sich jüngst in einer Bildnotiz aus, deren symbolische Bedeutung kaum zu überschätzen ist. Der Verlag Zweitausendeins nahm in die Herbstausgabe 2010 seines „Merkhefts“ ein Foto des rauchenden Schriftstellers Mark Twain auf. In der Notiz neben dem Bild heißt es: „Mark Twain – leider mit Zigarre. Twains Ehefrau hat ihrem Mann in 34 Ehejahren das Trinken und das Fluchen abgewöhnt, nur beim Rauchen konntesie sich nicht durchsetzen. Wir entschuldigen uns deshalb vorsorglich bei allen gesundheitsbewussten Menschen, die mit sehr guten Argumenten das Merkheft rauchfrei sehen möchten. Manchmal geht es nicht besser!“
    Ausgerechnet der Verlag Zweitausendeins! Einst war er das publizistische Organ der 68er-Generation, die mit dem höchsten Emissionsausstoß einer Generation im vergangenen Jahrhundert aufwarten kann. Es kam schon kurz die Rede darauf: Während gutbürgerliche Damen ihre Zigarette mit Spitze rauchten, rollten diese jungen Leute streng riechendes Gras in weißes Papier und klebten die Enden mit Spucke zusammen. Der Anblick eines Rauchers bei diesen Präliminarien widersprach jedem Sinn für Ästhetik. Die verknitterte, weil eben selbst zusammengedrehte Zigarette trug das ihre dazu bei.
    Dass der Verlag Zweitausendeins in dieser Weise dem Zeitgeist folgt, wäre nur noch von Gregor Gysis Bekenntnis zu toppen, dass der Kapitalismus über den Kommunismus gesiegt habe.
    Im Herbst 2010 beschließt die Bundesregierung wieder einmal eine Erhöhung der Tabaksteuer, nein, nicht eine, gleich mehrere auf einen Schlag. Bis zum Jahr 2015 soll es eine Erhöhung in fünf Schritten geben. Bis zu 52 Cent, so die Schätzung, wird der Aufschlag für ein Päckchen „in der Endstufe“, so der Gesetzgeber, betragen.
    Die Initiative zu diesem drastischen Anstieg ging
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