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Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Titel: Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Autoren: Herder
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Zigarette. Am Sonntagmorgen gab es immer Sex. Und danach – eine Zigarette.
    „Vor nicht allzu langer Zeit rauchte die ganze Welt“, schreibt Luc Sante voller Wehmut in seinem hierzulande 2005 erschienenen Buch „No Smoking“, der letzten Hommage auf die Zigarette, bevor sie zum Stigma wurde. „Ohne Aschenbecher war kein Zimmer komplett möbliert, das ganze Leben maß man in Zigarettenlängen.“
    Wichtigste Zeiteinheit in den Jahren, als Helmut Schmidt die Bundesrepublik regierte, war die „Zigarettenpause“ – in der Fabrik, bei der Bundeswehr, im Büro. Sie machte eine „Zigarettenlänge“, etwa fünf Minuten, aus. Manche Zigarettenmarken – die Modelle für Frauen – waren zwar länger, aber dünner, sodass auch ihr Konsum etwa diese fünf Minuten dauerte.
    Luc Sante erinnert noch einmal an die Protagonisten unter den Rauchern (früher sagte man nicht Raucherinnen und Raucher, man sagte nur Raucher und schloss rauchende Frauen mit ein). „Ärzte rauchten in ihren Sprechzimmern, Chefköche rauchten am Herd, Mütter rauchten, während sie ihre Babys wiegten. Mechaniker rauchten in ölbesprenkelten Garagen. Athleten rauchten zwischen den Wettkämpfen. Lehrer rauchten in Klassenzimmern. Patienten rauchten in den Aufenthaltsräumen der Krankenhäuser. Fernsehsprecher rauchten vor der Kamera. (…) Geraucht wurde im Büro und am Stand, im Wartezimmer und beim Friseur, in der Kunstgalerie wie im Stadion.“
    Apropos „Fernsehsprecher“: Zu den bekanntesten „Raucherstuben“ gehörte der „Internationale Frühschoppen“ mit Werner Höfer am Sonntagmittag. Höfer lud internationale Journalisten zum Gespräch über aktuelle politische Themen ein. Die Gäste bekamen zum „Frühschoppen“ nicht nur Wein eingeschenkt, selbstverständlich rauchten sie auch nach Herzenslust. Kein Wunder, dass das Studio bald unter dichtem Smog lag.
    In jener Zeit, von der hier die Rede ist, rauchten Schauspielerinnen und Schauspieler nahezu ausnahmslos. Die Kinofilme aus diesen Jahren kann man sich ohne rauchende Akteure nicht denken. Krimiserien wie „Der Kommissar“ oder „Derrick“ führten gleichsam den wissenschaftlichen Beweis dafür, dass die Zigarette die kriminalistische Aufklärungsarbeit erleichtert. „Kommissar“ Erik Ode steckte Verdächtigen erst einmal eine Zigarette an. Diese fassten sich, so gestärkt, ein Herz und gestanden den Mord.
    In jener Zeit, von der hier weiter die Rede ist, durften sogar Formel-1-Fahrer rauchen. Der erfolgreiche Deutsch-Österreicher Jochen Rindt zum Beispiel – der einzige Weltmeister in diesem Sport, der tragischerweise seinen Titel nicht mehr erlebt hat – steckte sich nach jedem Rennen eine Zigarette an. Auch im Fahrerlager, wo es nach Öl roch und Benzin in schlecht gesicherten Fässern herumstand, frönte er ganz selbstverständlich seiner Sucht – und die Fahrerkollegen ebenso.
    Der Dirigent Leonard Bernstein setzte Mitarbeiter dafür ein, dass sie ihm am Ende eines Konzertteils, kaum dass sich die Bühnentür geschlossen hatte, eine bereits angezündete Zigarette in den Mund steckten. Bernsteins persönliche Fahrer gehörten gewiss zu den heftigsten Passivrauchern der ganzen Welt.
    In jener Zeit, die schon lange vergangen ist, schuf Rauchen sogar Design. Feuerzeuge und Aschenbecher wurden mit derselben Verve gestaltet wie Stühle und Musikanlagen. In den „Wohnfibeln“ der sechziger und siebziger Jahre war in jedem Muster-Wohnzimmer ein prominenter Platz für den Aschenbecher und weitere Rauchinstrumente vorgesehen. Heute fristen Hunderttausende dieser Aschenbecher, Feueranzünder und Tabakmesser ein unwürdiges Dasein in Bananenkisten von Flohmarkthändlern, die keine Abnehmer mehr für sie finden.
    Vier Aschenbecher im Innenraum eines Autos, einer neben jedem Sitz, gehörten selbstverständlich zur Grundausstattung. Heute muss ein Aschenbecher im Auto als Extra eigens bestellt und mit einem Aufpreis bezahlt werden.
    In jener Zeit, die schon weit zurückliegt, galt Rauchen als gesellig, Nichtrauchen als stoffelig. Wer rauchte, stilisierte sich, wernicht rauchte, brachte sich um eine Chance. Ständig seien untereinander Zigaretten ausgetauscht worden, erinnert sich Luc Sante. „Setzte man sich mit drei Leuten an einen Tisch, kamen sofort vier Päckchen hervor, aus denen je ein fachmännisch abgestuftes Trio von Enden ragte, und selbstverständlich musste man sich bedienen, selbst wenn man die Marke verabscheute, ebenso wie die anderen sich bei den eigenen zu
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