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Im Netz der Meister (German Edition)

Im Netz der Meister (German Edition)

Titel: Im Netz der Meister (German Edition)
Autoren: Carla Berling
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Rule
    Es kam nur selten ein Taxi in diese Gegend. Die Leute hier hatten eigene Autos. Als der helle Wagen in der Nelkenstraße hielt, bewegten sich einige Gardinen in den Fenstern der gepflegten Mehrfamilienhäuser. Schemenhaft waren Köpfe dahinter zu erkennen, nur Köpfe, keine Gesichter.
    Die Frau, die den Fahrer bezahlte, achtete nicht auf die Neugierigen hinter den geputzten Scheiben. Sie stieg aus, strich ihren Rock glatt, rückte die Sonnenbrille zurecht und ordnete mit einer Hand ihr Haar. Sie sah auf das Haus mit der Nummer zwölf und ging darauf zu. Sie fuhr mit dem Zeigefinger neben den Namensschildern entlang, wartete einen Moment und drückte dreimal auf die oberste Klingel. Wenige Sekunden später ertönte der Summer, die Frau schob die Tür auf und ging die Treppe hinauf. Ihre hohen Absätze klackerten auf den sauberen Marmorstufen. In der dritten Etage endete die Treppe vor zwei braunen Wohnungstüren. Simone Sänger zögerte einen Augenblick, bevor sie dreimal klopfte.
    Nichts geschah. Sie neigte den Kopf und lauschte. Sie sah auf ihre Armbanduhr: Es war Punkt zehn Uhr vormittags, wie vereinbart. Ihre Unruhe wurde stärker. Ob er sich einen Scherz erlaubte? Oder wollte er sie vorher zappeln lassen? Sie klopfte wieder. Dreimal kurz, wie verabredet.
    Unmittelbar öffnete sich die Tür und er stand vor ihr. Simone zuckte zusammen und wich einen Schritt zurück, als sie ihn sah. Er streckte die Hand nach ihr aus, fasste sie am Oberarm und zog sie langsam in die Wohnung. Mildes Licht schien in die Diele. Es ließ ihn noch unheimlicher aussehen. Simone starrte ihn an. Ihr Herz schlug heftig und laut, so laut, dass sie dachte, er könnte es hören.
    Er war einen Kopf größer als sie. Ob er schlank war, konnte sie nicht genau erkennen, die schwarze Lederjacke kaschierte seine Konturen. Nur die hellen Augen waren frei und bildeten einen starken Kontrast zu seiner Ledermaske, die den Kopf bedeckte. Auch der Mund war unter der Maske verborgen. Simone bemerkte zwei Löcher zum Atmen unterhalb des Nasenrückens. Er trug schwarze Handschuhe.
    Sie schluckte und bemühte sich um einen forschen Ton. »Hallo Rule. Ich bin Chatterley. Schön, dich zu sehen.« Aber ihre Stimme bebte ein wenig. Sie hielt ihm die Hand entgegen.
    Er nahm sie in seine Linke, strich zart mit der Rechten über ihre Finger und deutete einen Handkuss an. Wortlos schob er sie in den offenbar einzigen Raum der Wohnung.
    Simone registrierte alles mit einem Blick: schwarze Wände, schwarzer Teppichboden. Auf einem Kandelaber brannten acht dicke, rote Kerzen, daneben stand ein Stuhl. Von der Mitte der Zimmerdecke hingen glänzende Stahlketten herab.
    Simone lächelte bei ihrem Anblick. Endlich, endlich war es wieder da, dieses Gefühl, diese Angst, gepaart mit Aufregung und kribbelnder Neugier.   
    Rule fasste sie mit einer Hand sanft in den Nacken, schob sie zum Stuhl, und sie folgte seiner stummen Anweisung wie eine Marionette. Sie konnte seine nächste Handbewegung nicht sofort deuten.
    »Soll ich mich ausziehen?«
    Er nickte. Simone lächelte. Er würde nicht enttäuscht sein, das wusste sie. Die anderen waren immer begeistert gewesen, und dieser war auch nur ein Mann. Langsam öffnete sie die Kostümjacke und hängte sie über die Stuhllehne. Sie ließ sich viel Zeit, als sie die Bluse aufknöpfte. Als sie den Rock über die Hüften gleiten ließ, versuchte sie, seinen Blick zu fixieren. Seine Augen gaben nichts preis.
    Sie legte ihre Hände lässig wie ein Model auf dem Laufsteg an ihre Hüften, als sie einen Schritt auf ihn zuging. Er veranlasste sie mit einer Geste, stehen zu bleiben. Sie verharrte nur eine Armlänge von ihm entfernt. Unbeweglich starrte er sie an.
    Rule, der Nickname, hatte sie auf ihn aufmerksam gemacht. Die Botschaft seines Pseudonyms war eindeutig.
    »Ich bestimme die Regeln, Chatterley. Und ich bestimme sie immer«, hatte er ihr geschrieben.
    Simone wusste, dass sie gut aussah: Ihre Beine wirkten in den halterlosen Nylons und den hohen Pumps länger, ihre Taille kam im engen Lackmieder gut zur Geltung. Warum sagte er nichts, warum starrte er sie nur an?
    Er ging einen Schritt auf sie zu. Nein, sie wich nicht zurück, nicht einen Zentimeter. Sie reckte ihr Kinn vor und lächelte.
    Sie hatte dieses Blind Date gewollt, sie hatte gewusst, dass er dieses Spiel mit ihr spielen würde. Sie hatte auch gewusst, dass er ein dominanter Mann war, ein Sadist. Er hatte sie zuvor in den Mails, die sie sich geschrieben hatten, über
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