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Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Titel: Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Autoren: Herder
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und so beliebt wie Helmut Schmidt. Niemand wünschen sich die Deutschen mit seinen persönlichen Eigenschaften so sehr in einem hohen Amt, sei es als Bundeskanzler oder Bundespräsident, wie ihn. Jungen Leuten gilt Helmut Schmidt als faszinierende, schnoddrige, rauchende Kultfigur. Ältere Deutsche, die ihn noch als Kanzler erlebt haben, betrachten ihn als Deutschlands klügsten politischen Kopf.
    Was ist das Geheimnis von Schmidts hoher, Parteigrenzen sprengender Popularität? Es ist weniger die Verehrung eines „Alten“ und vermeintlich „Weisen“, dem hier Bewunderung entgegenschlägt. Das Senioritätsprinzip – ein alter Mensch ist schon wegen seines Alters zu achten – hat in Deutschland keine Tradition. Konrad Adenauer wurde zwar als „Alter“ verehrt, aber er war auch fast bis zum Ende seines Lebens amtierender Politiker. Ein Carlo Schmid oder ein Ludwig Erhard waren, als sie ein hohes Alter erreicht hatten, aber nicht mehr politisch aktiv waren, fast vergessen. Das bloße Alter sorgt auch nicht dafür, dass betagte oder hochbetagte Zeitgenossen von Helmut Schmidt – der frühere Bundeskanzler Kohl, die früheren Bundespräsidenten Scheel, Herzog und von Weizsäcker – in den Medien präsent wären. Das einst hohe Amt sorgt nicht automatisch für Gehör. Fernsehgespräche mit Roman Herzog und Richard von Weizsäcker haben gute Einschaltquoten, doch kommen die Zuschauerzahlen – und vor allem die publizistische Wirkung – nie an Gespräche mit Helmut Schmidt heran.
    Aber was – wenn nicht hohes Alter und früheres Amt – macht dann Schmidts Popularität aus? Was ist das Geheimnis seiner fortgesetzten Wirkung? Kein Bundeskanzler in der Geschichte des Landes war und ist nach seiner Amtszeit politisch und persönlich so präsent wie Helmut Schmidt. Kein politischer Autor der Bundesrepublik Deutschland verkauft so viele Bücher und wird auch so häufig gelesen wie er. Kein Gast in öffentlichen Veranstaltungen und Fernsehinterviews lockt so viele Gäste und Zuschauer an.
    Früher gab es eine Anekdote über Helmut Schmidt, wonach ein Preis, der ihm verliehen werden solle, mit mindestens 10.000 Euro dotiert sein müsse – denn so hoch sei sein Mindesthonorar für einen Vortrag.
    Ein Altbundeskanzler kommt seinen Gastgebern vielleicht teuer, seinen Zuhörerinnen und Zuhörern aber lieb, obwohl – oder gerade weil – er in seinem Vortrag amtierende Politiker kritisiert. Bei Helmut Schmidt muss man noch auf die ungewöhnliche, weil unzeitgemäße Performance gefasst sein, denn er raucht wie ein Schlot und spricht Klartext.
    Was genau macht die Popularität des rauchenden Politikers Helmut Schmidt aus? Was verrät diese Popularität über ein Land, dessen politische Führung Helmut Schmidt vor fast 30 Jahren abgegeben hat? Wie erleben die Deutschen ihr politisches Führungspersonal, wenn sie einen Mann wie Helmut Schmidt verehren, der nicht mehr von Amts wegen zu dieser politischen Führung gehört? Kann Helmut Schmidt in der Gegenwart ein Vorbild sein, oder verkörpert er eine vergangene, zu Unrecht verklärte Epoche?
    Es liegt ein starker Reiz darin, solchen Fragen auf die Spur zu gehen. Dieser Reiz folgt zum einen der Persönlichkeit von Helmut Schmidt selbst. Viel ausführlicher und nachdrücklicher als seine Nachfolger Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel hat er seine sittliche Grundlagen und sein Verständnis von Politik dargelegt und damit zur öffentlichen Diskussion gestellt. Auch wenn es Helmut Schmidt, der Hanseat, mit nordischem Understatement nicht eingestand, wollte und will er alsPolitiker, der für bestimmte Werte steht, ein Vorbild sein. Zu diesem Zweck wirbt er für diese Werte bis in das hohe Alter und lebt sie nach Kräften selbst. Und nimmt dabei die Politikerinnen und Politiker der Gegenwart in die Pflicht. Sein Maßstab ist hoch. Zu hoch für jene, die auf ihn in verantwortlichen Ämtern gefolgt sind?
    Der weitere Reiz, Schmidts Popularität, ja Ruhm zu verstehen, liegt im gegenwärtig stark angeschlagenen Erscheinungsbild der deutschen Politik. Ranghohe Politiker treten nicht von ihren Ämtern zurück, sie schmeißen sie geradezu hin. Und jene, die im Amt bleiben, genießen in der Publizistik und in der Öffentlichkeit nicht gerade ein hohes Ansehen. Helmut Schmidt kritisiert die „politische Klasse“ (ein Lieblingswort von ihm), doch ist diese Kritik berechtigt? Oder sind es heute schlichtweg andere Zeiten als jene Dekaden, die er selbst politisch mitgestaltet hat?
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