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Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Titel: Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Autoren: Herder
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ausgelöst hat, sind sie von Gesetzes wegen verpflichtet, alle Räume nach möglichen Brandherden abzugehen. In einer Kunsthalle kann das lange dauern. Die feierliche Stimmung des Vortrags wäre sozusagen gelöscht, ohne dass auch nur ein Tropfen Wasser vergossen wurde.
    Ein solches Szenario stand also Wulf Herzogenrath vor Augen, als Helmut Schmidt in der Bremer Kunsthalle zu Gast war. Herzogenrath freute sich über den Besuch des hohen Gastes – und war froh, als Helmut Schmidt wieder draußen war, ohne einen Großeinsatz der Feuerwehr ausgelöst zu haben.
    Helmut Schmidt raucht auch, wenn er selbst gerade nicht anwesend ist: Er raucht auf den Titelbildern seiner Bücher. Der Verleger von Schmidts politischer Bilanz „Außer Dienst“ hätte ein Motiv ohne Glimmstängel wählen dürfen – er tat es nicht. Er weiß, dass die Raucherpose nicht nur hingenommen, sondern geradezu erwartet wird. Welcher Autor außer Helmut Schmidt darf heute noch auf einem Buchtitel rauchen?
    Helmut Schmidt raucht auf dem Foto, das die Zeitschrift „Brigitte“ in einem für ihn ungewöhnlichen Zusammenhang platziert hat, in einer Beilage zum 30. Geburtstag des Ikea-Regals „Billy“. Schwer vorstellbar, dass Helmut Schmidt je ein Ikea-Möbelhaus von innen gesehen hat, es sei denn, er musste eine dieser blaugelben Schachteln – als Symbol der Öffnung dieses Landes zum Westen hin – auf einer Auslandsreise besuchen.
    Und doch gelingt „Brigitte“ ein gedanklicher Zusammenhang zwischen Helmut Schmidt und Ikea. In der „Billy“-Beilage geht es um das „Gerede von den Werten“, um ihren Verfall und darüber, welche Werte heute und in Zukunft wichtig sind. In einer Fotogaleriewerden fünf Personen des öffentlichen Lebens abgebildet – Persönlichkeiten, die vermeintliche oder tatsächliche Symbolfiguren unserer Gesellschaft sind. Die Frauenzeitschrift lässt antreten: Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Papst Benedikt XVI., Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt, den Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, und den Philosophen Jürgen Habermas.
    Man erkennt sofort die Tücke der Auswahl: Mit Ausnahme von Helmut Schmidt kann keines der vermeintlichen Vorbilder als unumstritten gelten. Soll Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg als Leitfigur für die Gegenwart stehen, dieser junge Minister, der zwar seine Sache bislang ordentlich macht, aber auch viel Energie auf seine Medienwirksamkeit verwendet? Oder kann es Papst Benedikt sein, über dessen Amtsführung nach der „Wir sind Papst“-Euphorie längst Ernüchterung eingekehrt ist? Josef Ackermann mag die Deutsche Bank zu erfolgreichen Bilanzen führen, doch nach einem unvergessenen Victory-Auftritt vor Gericht gilt er als Inbegriff eines globalen, Angst machenden Kapitalismus. Jürgen Habermas ist ein großer, einflussreicher Denker, auf dessen brillante Texte gleichwohl nur relativ wenige Leserinnen und Leser treffen – und sich darauf einlassen möchten. Auch am Beginn des 21. Jahrhunderts wird die Welt nicht von Philosophen regiert.
    Helmut Schmidt steht in der Fotogalerie dieser fünf Personen in der Mitte, wie der Sieger einer olympischen Disziplin. Er ist unter den fünf der Einzige, dessen moralische Autorität für dieses Land unzweifelhaft scheint. Er verkörpert die moralische Klammer für eine moderne, sich segmentierende Gesellschaft. Kein Zweifel, es geht Kraft und Autorität aus von diesem über 90-jährigen Mann mit dem noch immer strengen Scheitel und der unvermeidlichen Kippe im Mund.
    Während der Kanzlerschaft von Helmut Kohl, Helmut Schmidts Nachfolger, wurden die Machtinsignien der neuen, vereinigten Bundesrepublik geplant – das opulente Kanzleramt, die gläserne Kuppel für den umgebauten Reichstag, die Gigantomanie auf dem nahen Potsdamer Platz. Doch neue Bauten schaffen noch keine nationale Identität.
    Die Frauen und Männer in Deutschland, die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger, haben ihren eigenen, wertvollen Beitrag zu diesem neuen Staat geleistet – einen Beitrag, für den es keine Steine und keinen Mörtel braucht und der mehr Gemeinsinn stiftet als Prunk und Fassade. Mit ihren persönlichen Empfindungen und ihrer inneren Teilhabe am neuen Staat bringen sie einem Politiker im einstweiligen Ruhestand, Helmut Schmidt, eine überraschende, überragende Verehrung entgegen, eine Verehrung, die von jungen und älteren Menschen gleichermaßen geteilt wird und von Jahr zu Jahr steigt.
    Kein Politiker in Deutschland ist so angesehen
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