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Wirrnis des Herzens

Titel: Wirrnis des Herzens
Autoren: Catherine Coulter
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1
    London 1811 14. Mai
    Kurz vor Mitternacht
    Abrupt blieb Lord Beecham stehen und wandte sich derart hastig um, dass er beinah eine große Topfpflanze in Mitleidenschaft gezogen hätte.
    Er konnte kaum fassen, was er da eben gehört hatte. Suchend blickte er in die Richtung, aus der er die Stimme vernommen hatte.
    Durch die Blätter der Topfpflanze starrte er angestrengt in die Bibliothek der Sanderlings, die lang, schmal und regalbehangen gleich hinter dem Ballsaal lag. Während die Bibliothek mit den dunklen Buchreihen und den Spinnweben nur von einigen flackernden Kerzen erhellt wurde, war der Ballsaal von unzähligen Lichtem erfüllt und mit Pflanzen geschmückt. Mindestens zweihundert Gäste pflegten tanzend und Champagner nippend ihre gesellschaftlichen Kontakte.
    Erneut hörte er die Frau sprechen. Er trat noch einen Schritt näher an den schwach beleuchteten Raum heran. Die Stimme war wohlklingend und irgendwie auch verführerisch. Sie lachte. »Wirklich, Alexandra«, sagte sie, »wenn Sie nur daran denken und es langsam vor sich hin sprechen: Züch-ti-gung! Beschwört das nicht auch in Ihnen die herrlichsten Bilder von Macht und Unterwerfung herauf? Stellen Sie es sich vor. Sie sind von der Gnade einer anderen Person abhängig, die absolute Kontrolle über Sie hat. Sie können nichts dagegen ausrichten. Sie wissen, es wird etwas geschehen, Ihr Herz pocht und Sie haben Angst. Es ist eine köstliche Angst. Tief in Ihrem Inneren wissen Sie, dass Sie ersehnen, was kommen wird. Sie warten darauf. Alles, was Sie tun können, ist sich vorzustellen, was mit Ihnen passieren wird, und Ihre Haut spannt sich in Erwartung.«
    Es wurde still.
    Lord Beechams äußerst lebendige Vorstellungskraft erzeugte ein Bild, wie er über einer wunderschönen Frau kniete. Er lächelte sie an und band ihre Hände und die gespreizten Beine an die Pfosten eines Bettes. In nur wenigen Augenblicken würde er sie entkleiden. Ein Kleidungsstück nach dem anderen, langsam, sehr langsam, und ...
    »Oh, mein Gott, Helen. Ich muss mir Luft zufächeln, mir ist ganz heiß. Sie zaubern mit Ihren Worten die eindrucksvollsten Bilder hervor. Was Sie beschreiben - es ist zugleich schrecklich und wundervoll. Ich bekomme fast Lust, es auszuprobieren. Allerdings klingt es, als ob dafür ein gehöriges Maß an Planung nötig wäre.«
    »Ja, das stimmt. Perfekte Planung gehört dazu. Und Sie selbst sind Teil des Rituals - wenn Sie diejenige sind, die die Macht hat, sogar der wichtigste. Sie müssen sich von allen alten Gewohnheiten frei machen und immer wieder Neues erfinden. Bedenken Sie dabei stets, wie viel Kraft die angstvolle Erwartung von etwas nicht zu Berechnendem hat. Die Behandlung sollte abwechslungsreich sein und immer intensiver werden. Meist ist es äußerst wirksam, wenn Unbeteiligte als Zeugen dabei sind. Das macht den Unterworfenen noch ängstlicher, spannt seine Nerven zusätzlich an und lässt ihn noch empfänglicher werden. Es ist ein erstaunlicher Vorgang. Sie müssen es ausprobieren, auf beiden Seiten.«
    Erneut wurde es still.
    Es ausprobieren! Er wollte in den Raum stürzen, in diesem Augenblick, wollte alles ausprobieren, was er sich auch nur im Entferntesten vorzustellen vermochte. Seine Finger nestelten schon an seiner Krawatte, bereit, den Knoten zu lösen, um damit die Handgelenke dieser Frau über ihrem Kopf zusammenzubinden. Sie würde hilflos sein und ihn mit großen, Angst erfüllten Augen anblicken. Mit leicht geöffneten Lippen würde sie zitternd daliegen. Er hörte einen tiefen Seufzer.
    »Das ist alles schön und gut, Helen, aber was ich benötige, sind bestimmte Maßnahmen, die ich durchexerzieren kann. Am besten eine ganze Liste, in der verschiedene beschrieben sind, von ganz milden Maßnahmen bis zu härteren.«
    Plötzlich wurde Lord Beecham klar, dass er diese Stimme kannte. Gütiger Gott, es war die Stimme von Alexandra Sherbrooke. Er konnte es nicht fassen. Ihm fiel Douglas Sherbrooke ein. Ein großer, schroffer Mann, von dem man glaubte, dass er seine Frau seit nunmehr acht Jahren glücklich mache. Und diese Frau fragte soeben nach Züchtigungsmaßnahmen? Vielleicht um sie an ihrem Gatten auszuprobieren? Was für ein wunderbar delikater Gedanke.
    Wer aber war diese Helen, mit der sie sprach?
    »Was mich noch interessieren würde«, fuhr Alexandra kurz darauf fort, »ist, woher Sie überhaupt so viel über Züchtigungen wissen?«
    »Ich habe jedes Buch, jeden Artikel gelesen, alles, was je darüber verfasst
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