Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition)
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
zerkratztem weißen Email überzogen und stand einen Spalt breit offen. Ich bückte mich, machte die Tür weit auf, schaute mich um und trat ein.
    Ich ging schnell. Trotzdem brauchte ich einige Minuten, bis ich Diane eingeholt hatte. In einem dunklen Wartungstunnel kam ich an zehn oder fünfzehn Studenten vorbei, dann stieß ich auf Diane. »Wohin gehen wir?«, fragte ich im Flüsterton.
    »Bist du dabei?«
    »Jetzt ja.«
    Sie zwinkerte mir zu und schüttelte mir begeistert die Hand. »Irgend jemand hat einen Schlüssel und kennt den Weg zu den alten Kuppeln aus der Pionierzeit.«
    Wir lachten gedämpft, schlugen uns gegenseitig auf den Rücken, schritten voller Enthusiasmus und von unserer eigenen Courage beeindruckt voran und traten nacheinander durch eine uralte Stahltür. Als nächstes krochen wir durch enge, stickige Tunnel, die durch bröckelndes, schwammiges Felsgestein führten. Als der letzte von uns das Universitätsgelände verlassen und über eine schwach beleuchtete Grenzmarkierung einen weiteren, noch älteren Tunnel betreten hatte, legten wir einander die Hände auf die Schultern. Halb im Marschtritt, halb im Tanzschritt rückten wir in einer Kette vor.
    Jemand am Ende der Kette raunte uns barsch zu, wir sollten endlich die Klappe halten. Wir blieben stehen und wagten kaum noch zu atmen. Sekundenlanges Schweigen. Dann waren von hinten leise Stimmen und das mechanische Summen von Wartungsrobotern zu hören. Ein schweres, lautes Klirren drang uns schmerzhaft in die Ohren. Irgend jemand hatte den Tunneleingang hinter uns verschlossen.
    »Wissen die, dass wir hier drin sind?«, fragte ich Diane.
    »Glaub ich nicht«, meinte Diane. »Das war bestimmt irgend jemand von dem Trupp, der sich um den Luftdruck kümmert.«
    Sie hatten die Tür verschlossen und versiegelt. Es gab kein Zurück.
    Die Tunnel führten uns fünf Kilometer über die Grenze der Universität hinaus, durch ein jahrzehntealtes Labyrinth, das schon vor meiner Geburt nicht mehr benutzt worden war. Aber der Anführer unserer Gruppe, wer immer es auch sein mochte, wusste ganz sicher, wo es lang ging.
    »Jetzt sind wir in der Vergangenheit«, sagte Diane und sah sich nach mir um. Vor vierzig Marsumläufen – mehr als fünfundsiebzig Erdenjahren – hatten diese Tunnel kleinere Stützpunkte der Pioniere miteinander verbunden. Im Gänsemarsch bewegten wir uns durch unterirdische Labyrinthe, die einst die ersten Familien benutzt hatten. Hier war es finster und bitter kalt. Die Belüftung funktionierte nur deshalb noch, weil diese Labyrinthe eine Reserve für äußerste Notfälle darstellten …
    Im Licht unserer wenigen Taschenlampen und der Arbeitsleuchten im Tunnel waren Reste alten Mobiliars, veraltete Elektronik, Stapel großer Dosen mit Notrationen zu erkennen, außerdem auch Gerätschaften zum Überleben im luftleeren Raum.
    Vor Stunden hatten wir in der Uni unser letztes Essen eingenommen und in den Wohnheimen ein warmes Dampfbad genossen. Das alles lag jetzt hinter uns. Vor uns lagen spartanische Verhältnisse.
    Mir ging es ausgezeichnet. Ich tat etwas Wichtiges – und das ohne Zustimmung meiner Familie.
    Ich hatte das Gefühl, endlich erwachsen zu werden.
    Die neunzig Studentinnen und Studenten versammelten sich in einer dunklen Bucht am Ende des Tunnels, es handelte sich um die Kuppel über einem Graben, den die Pioniere angelegt hatten. Alle Geräusche – nervöses und aufgeregtes Lachen, Stimmen, die irgend etwas fragten, das Scharren von Füßen auf dem kalten Boden, gelegentlich auch Gesang – wurden von dem schwarzen Polyester, mit dem die Bucht ausgepolstert war, gedämpft. Diane vergaß die auf dem Mars übliche Zurückhaltung und nahm mich in die Arme. Dann übertönten einige Stimmen das dumpfe Gemurmel. Mehrere Studenten begannen damit, Namen und Zugehörigkeit zu BGs zu erfassen. Die Masse nahm nach und nach Gestalt an.
    Zwei Ingenieursstudenten aus dem dritten Studienjahr – das Ingenieurswesen galt als konservative und strenge Abteilung – traten vor und nannten ihre Namen: Sean Dickinson und Gretyl Laughton. Nachdem wir Gruppen gebildet und Leiter ernannt hatten, bestätigten wir Sean und Gretyl im Laufe des Tages als unsere Anführer, taten unsere Solidarität und unser Engagement kund und erfuhren, dass wir tatsächlich so etwas wie einen Plan hatten.
    Ich fand, dass Sean Dickinson auffallend gut aussah: Er war mittelgroß, schlank, hatte über einer ausgeprägten Stirn einen braunen Wuschelkopf und elegant
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher