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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition)
Autoren: Greg Bear
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Sicherheitsleute – die meisten gerade erst von der Erde eingewandert und von großer, kräftiger Gestalt – packten uns grob an den Ellbogen und scheuchten uns durch die Tunnel. Die raue Behandlung nährte den Samen meines Zweifels. Er wuchs ziemlich schnell. Wie konnte ich mich einer solchen Ungerechtigkeit beugen, ohne aufzuschreien? Meine Familie war zwar vorsichtig, aber Feigheit hatte man ihr noch nie nachsagen können.
    Von Connors Wachen eingekreist, mit dem Rest der relegierten Studenten zum Pulk zusammengetrieben, mussten wir im Eilschritt an einer Gruppe Studenten vorbeimarschieren, die in einer Gartenhalle herumhing. Sie trugen die grauen und blauen Farben ihrer Familien. Es waren Sprösslinge von BGs, die enge wirtschaftliche Beziehungen zur Erde pflegten, Hätschelkinder der Leute, die Daubles Pläne am eifrigsten unterstützten. Ja, ja, sie waren alle noch da. Leise und gelassen unterhielten sie sich miteinander, drehten sich mit ausdruckslosen Mienen zu uns um und sahen zu, wie wir vorbeitrabten. Weder boten sie uns Hilfe noch Ermutigung an. Ihre Passivität baute Mauern zwischen uns auf. Diane stieß mich an. »Schweine!«, zischte sie.
    Das sah ich genauso. Diese Leute fand ich noch schlimmer als Verräter. Sie verhielten sich wie uralte Zyniker. Sie traten die ernsthaften Ideale unserer Jugend mit Füßen.
    Wir übrigen wurden in einen Wagen verladen und zum Bahnhof gebracht, die Campuswächter wichen nicht von unserer Seite.
    Auf dem Bahnhof war einiges los.
    Einige Studenten schlenderten einen Seitengang hinunter, kamen zurück und machten Meldung: Der Verbindungszug zum Knotenpunkt Solis Dorsa würde gleich einfahren. Diane leckte sich über die Lippen und sah sich nervös um. Der letzte der Wächter, die uns begleitet hatten, war jetzt sicher, dass wir uns auf dem Nachhauseweg befanden. Er tippte an seine Mütze und betrat ein Bahnhofscafé. Damit verschwand er aus unserem Blickfeld.
    »Kommst du mit?«, fragte Diane.
    Ich konnte nicht antworten. Mein Kopf brummte vor widersprüchlichen Gedanken. Meine Wut über die ungerechte Behandlung lag im Widerstreit mit den Erwartungen meiner Eltern. Meinen Eltern war der ganze Vereinigungsrummel zuwider. Sie waren fest davon überzeugt, es sei das Beste, sich ganz herauszuhalten. Das hatten sie mir auch gesagt, mir allerdings keinerlei Vorschriften gemacht.
    Diane warf mir einen mitleidigen Blick zu und schüttelte mir die Hand. »Casseia, du denkst zu viel«, stellte sie fest. Sie ging den Bahnsteig hinunter und um die Ecke. In Gruppen von fünf oder weniger Personen eilten die Studenten zur Toilette, holten sich Kaffee oder erkundigten sich nach dem Wetter in ihren Heimatorten … Insgesamt neunzig Studenten hatten sich nach und nach von der Hauptgruppe abgesondert.
    Ich zögerte. Die Studenten, die dageblieben waren, wirkten bemüht unbeteiligt. Wenn Seitenblicke ihre Gesichter trafen, wandten sie sich schnell ab.
    Über den Bahnsteig senkte sich beängstigendes Schweigen. Eine Nachzüglerin, die an drei Beuteln schleppte, offensichtlich ein Erstsemester, machte ein paar Tanzschritte. Ihr kurzes braunes Haar flatterte. Dann ließ sie einen Beutel von der Schulter gleiten, tänzelte weiter und stieß den Beutel mit dem Fuß zwei Meter weiter. Sie entledigte sich auch der anderen Beutel, ging auf dem Bahnsteig in nördlicher Richtung davon und bog um die Ecke.
    Ich zitterte am ganzen Körper. Ich betrachtete die stoischen Gesichter rings um mich und fragte mich, wie sie so träge sein konnten. Wie konnten sie einfach dastehen, auf die Ankunft des Zuges warten und Daubles Strafe ohne Widerspruch hinnehmen? Eine Strafe für politische Ansichten, die sie vielleicht nicht einmal teilten!
    Der Zug schob einen Luftschwall vor sich her, als er durch die Schleusen und Sperren ratterte. Über dem Bahnsteig leuchteten Signale auf: der Stationsname, die Zugbezeichnung, die Fahrtziele. Mit ausgesuchter Höflichkeit und ohne jede erkennbare Emotion verkündete die Stimme einer älteren Frau: »Auf Bahnsteig Vier fährt jetzt ein der Solis Dorsa nach Bosporus, Nereidum, Argyre, Noachis – mit Umsteigemöglichkeit nach Meridiani und Hellas.«
    »Scheiße Scheiße Scheiße!«, fluchte ich lautlos. Ehe ich überhaupt wusste, wofür ich mich entschieden hatte, ehe mich weitere Überlegungen hemmen konnten, trugen mich meine Beine um die Ecke und hinauf zu einer leeren weißen Nische. Sackgasse. Der einzige Ausgang bestand aus einer niedrigen Stahltür. Sie war mit
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