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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt
Autoren: Walter Kempowski
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Natur»würde man bei diesem Thema nicht ausgehen können. Aber vielleicht von der Rosegger-Geschichte mit dem Regenschirm? Ob er den Schirm mitnehmen soll oder nicht, fragt der Bauer seine Frau… Aber auch sehr papieren, wo draußen die Natur ins Fenster lacht? Und Rosegger – war der noch zeitgemäß? Hatten die Nazis den nicht favorisiert?

    Nein, ein solches Risiko konnte man nicht eingehen. Erst mal die Formalstufen streichen. Kein Theater veranstalten, sonst dächten sie vielleicht: Was macht er da, was macht er da? Einstieg, Verknüpfung und so weiter, ist das nicht ein Korsett aus dem vorigen Jahrhundert, das man sich ohne Not anlegt? Eine mechanische Sache ohne Saft und Kraft?

    Vielleicht war es besser, über den Maikäfer zu handeln, mit Lehrfilm etcetera, da geht schon mal ein Drittel der Stunde flöten? – Aber Ende April schon über den Mai käfer sprechen?
    «Ich bitte Sie, Herr Kollege…»
    Für alle Fälle arbeitete er auch diese Stunde aus, ganz nach frischfreiem Gustus, wer konnte es denn wissen? Vielleicht würde ja tatsächlich ein solches«Krabbeltier»auftauchen, von Kindern mitgebracht? Oder es stieße von draußen gegen die Fensterscheibe, und man ließe es dann herein? Vielleicht könnte man es sich ja auch ein paar Tage vorher ausborgen, aus Bremen vielleicht oder sonstwoher? Einen Tag vorher herumtelefonieren:«Herr Kollege, gibt es bei Ihnen Maikäfer?»Mit Eilpost schicken lassen und dann Schokoladenmaikäfer dagegenhalten, als Kontrastvergleich, was das für ein Unterschied ist? -Jedes Kind kriegt einen und darf ihn hernach aufessen?

    Nein, kein Risiko eingehen, am besten ganz etwas anderes machen, vielleicht Religion? Das Ostergeschehen? In Religion war mit strammer Haltung viel zu machen, Bilder austeilen,«das Grab ist leer», diese Geschichte, die«Meisterbilder zur Bibel»aus dem Verlag Junge Gemeinde Stuttgart, ein vollständiger Satz von Reproduktionen war vom alten Schmauch her noch vorhanden, und hintendrauf stand genau, woran man sich in methodischer und didaktischer Hinsicht zu halten hat, damit es keine Schwierigkeiten gibt… Seufzend machte sich Matthias daran, auch das Ostergeschehen«zu verknüpfen». April, Maikäfer, Ostergeschehen – schließlich hatte er in seiner Mappe drei tadellose Stundenvorbereitungen beisammen, arabisch durchnumeriert. Er würde im letzten Augenblick die richtige auswählen. In einer solchen Situation durfte man nichts dem Zufall überlassen. Notfalls auf römisch III des eisernen Bestandes zurückgreifen.

    Am Abend vorher wurde er ans Telefon gerufen. Carla kam gelaufen, van Dechterong sei am Apparat. Matthias ließ alles stehen und liegen und stellte sich zu Carla auf die Diele und hörte sich an, was van Dechterong ihm zu berichten hatte.
    Es täte ihm leid, daß er ihn stören muß, sagte der väterliche Freund, der seine jungen Spritzer immer so gern an die Brust drückte, weil er auch mal jung gewesen war und die Katastrophen des Lebens kannte, er platze jetzt gewiß mitten in die Vorbereitungen hinein, es wär’ an sich kein besonderer Anlaß:«Aber, mal eine Frage: Hat der Schulrat vielleicht irgend etwas gegen Sie?»Der habe so merkwürdige Andeutungen gemacht, habe von«Enttäuschung»geredet und von«Betrug»…

    Carla blieb in der Nähe stehen, wenn Not am Mann ist, und nun kam auch noch der Eleve mit dem Hund, den Hosenschlitz knöpfte er sich gerade zu, der wollte auch gern wissen, worum es sich hier handelte.

    Die Vorführstunde über das Auto, im Herbst, die wär’ damals doch so brillant gelaufen, sagte van Dechterong, der Schulrat habe ihn abends extra noch angerufen, hatte sich fast überschlagen, und nun habe der Wind anscheinend gedreht, er habe von«Täuschung»geredet, sei an der Nase herumgeführt worden und so weiter…«Na warte!»So in dem Sinne habe er sich geäußert, und:«Der kann was erleben!»- Der Schulrat habe nichts Geringeres vor, als ihn morgen kurz und trocken auseinanderzunehmen. Ob er sich erklären könne, wie die Sache zusammenhängt? fragte van Dechterong, und Matthias sagte ja, er könne sich das erklären, um auf Nummer Sicher zu gehen, habe er stets ein paar exquisite Stundenvorbereitungen in der Schublade, auf Vorrat, um es eben nicht darauf ankommen zu lassen, mit einer Stegreifdarbietung bei dem unangemeldeten Schulrat womöglich durchzurasseln, und dann ist alles aus. Und da habe er also eine von diesen Sondernummern hervorgeholt und dem Schulrat vorgeführt. Der Erfolg sei
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