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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt
Autoren: Walter Kempowski
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verblüffend gewesen.

    Nun kapierte van Dechterong, und Carla entnahm es dem akustischen Nebel, daß Matthias in ernsten Schwierigkeiten war.
    «Aber wie konnten Sie denn so was tun! Liebster, bester Herr Jänicke! »sagte van Dechterong. Es würde schwer halten, das wieder auszubügeln. Schlimm sei es auch, daß der Schulrat als alter Herr sich habe hereinlegen lassen. Da seien die Großkopfeten komisch, verletzte Eitelkeit und so weiter und so fort.

    Es war also die Vorführstunde römisch II gewesen, die Anstoß erregt hatte, irgend jemand hatte dem Schulrat ins Ohr geblasen, daß die Stunde, die ihm bei seiner unangekündigten Visite in Klein-Wense geboten worden war, eben nicht Abbild der täglichen Arbeit gewesen sei, daß Matthias nicht«täglich Brot»geliefert hatte, wie angenommen, sondern aus der Schublade gezogen, eine gezinkte Sache…
    Eine Täuschung, arglistig, und der Schulrat war zu allem Übel noch darauf hereingefallen! Hatte es überall herausposaunt… Es war ihm trotz jahrelanger Erfahrung nicht aufgegangen, daß er einer Theatervorstellung beiwohnte, er war nicht auf die Idee gekommen, ans Pult zu stürzen und zu sagen:«Zeigen Sie mal her, was Sie da noch so alles haben!»und dann entlarvt die Sache als abgekartetes Spiel?

    «Und nun wird er sich vermutlich rächen morgen», sagte van Dechterong,«er kann Ihnen ja eigentlich nichts anhaben, aber gemütlich wird’s nicht…», soviel könne er prophezeien, und er mochte an seine Seminarzeit denken, vor vierzig Jahren, als er bei Nacht mal über die Mauer geklettert war, um seine Freundin zu treffen und mit der zum Tanzen zu gehen, auch eine riskante Sache, die leicht zur Relegation hätte führen können. Später die dann geheiratet, drei Kinder, aber vor zehn Jahren schon an Krebs gestorben.

    Carla, von der an diesem Tag ein herber Geruch ausging, sperrte die Ohren auf, sie kriegte natürlich nicht so genau mit, um was es ging, aber ihr klopfte das Herz! Und sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm, als er den Hörer auflegte! Er aber riß sich los, als müsse er ins Feld zu den Soldaten. Und er stellte sich drastisch vor, wie das morgen ablaufen würde, eine Art Tribunal stellte er sich vor, wie er schon eines erlebt hatte, mit schlimmen Folgen. Er sah es vor sich, daß ihm der Mann den Händedruck verweigert, und das ganze Dorf erfährt’s, der Bürgermeister: das ganze Schulhaus renoviert, und nun so ein zwielichtiges Wesen an den Tag gelegt? So was will Beamter werden? Beamter auf Lebenszeit?

    Und dann die höhnischen Gesichter der Kollegen: Da wollte einer ganz schlau sein, oberschlau, und nun kann er sehen, was er davon hat. Stichnoth! war es gewesen, der hatte jetzt seine große Stunde. Der würde dem Schulrat zur Belohnung die Tasche tragen dürfen, daran war nicht zu zweifeln.
    Nein, das wollte Matthias nicht erleben. Er wollte nicht nackt und bloß vor der Welt stehen und sich irgendwelchem Gegeifer aussetzen. Diese Sache hier mußte beendet werden: Ein kurzer, scharfer Schnitt: reinab, reinab bis auf den Grund.
    Am besten alles abbrechen hier, und zwar sofort.

    Es kam zu dem, was später eine«Kurzschlußhandlung»genannt wurde.«Schnell schnell», dachte Matthias,«zu Gericht wird man nicht sitzen über dich, dazu wird es nicht kommen.»
    Er fuhr den Wagen auf den Hof, und dann ging er hinauf in seine Fluchtburg und packte ganz automatisch seinen Koffer. Das Sesam-open-you ließ er da, das brauchte er ja nun nicht mehr.
    Das hölzerne Auge sah ihn an, als er da so zittrig seine Hemden zusammenlegte, er schloß das Lid, und dann stieg er mit Koffer und Tasche hinunter.

    Ein letztes Mal ging er durch die Wohnung, der Salon mit den polierten Möbeln, und im Anbau das Tellerbord und die große Truhe mit dem Kallroy darüber. Ganz schön, was da alles zusammengekommen war.
    Auf dem Fußboden der Bücherschatz des Lehrers.
    «Alles dalassen», sagte er zu sich,«… nichts mehr hören und sehen. »
    Den Stirb-und-werde-Stuhl stellte er auf den Holzplatz, dorthin also wo er ihn hergeholt hatte, kurz bevor er zerhackt werden sollte, neben den Hauklotz stellte er ihn. Sollten sie damit machen, was sie wollten. Vielleicht würde Stichnoth es sich ja darin bequem machen, als kommissarischer Lehrer eingesetzt für den fahnenflüchtigen Kollegen.

    Und dann ging er in die Klasse hinüber. Und das tat ihm weh. Ich war kein guter Lehrer, dachte er, aber ich habe euch einen Schlimmeren erspart.
    Vielleicht wäre er wankend geworden in
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