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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt
Autoren: Walter Kempowski
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seinem wütenden Entschluß, wenn Marianne in diesem Augenblick gekommen wäre, mit der Schürze voll Eier oder mit der Katze auf dem Arm. Alles noch mal überschlafen, und dann irgendwie durch? Nein, am Ohr würde man ihn nicht ziehen, wie einer, der den Siruptopf hingeschmissen hat. Er würde sich nicht auslümmeln lassen. Nie wieder in seinem Leben auslümmeln lassen. Er ging hinaus, er wandte sich nicht einmal mehr um.

    Matthias Jänicke setzte den Strohhut auf – ohne h aber mit ck – und stieg ins Auto, drehte eine Runde auf dem Schulhof, an den offenstehenden Klotüren vorüber, und fuhr davon. Im Rückspiegel sah Matthias, daß Carla aus dem Haus gelaufen kam, ein Tuch um die Schultern.

    Er fuhr durchs Dorf, die rasierte Platanenallee entlang, an der geräumten Villa des Landhändlers vorüber – die Gardinen wehten aus den offenstehenden Fenstern. Vor dem Kallroy-Haus stand ein BMW. War es der Museumsdirektor aus Dortmund, der der Tante seine Aufwartung machte? Hier begann bereits ein neues Kapitel.

    Bei Frau Schulz bezahlte er seine Rechnung. Er gab ihr zum erstenmal die Hand und bedankte sich für das gute Essen immer, das er hier bekommen hatte, und er deutete auf seinen Bauch, daß er richtig fett geworden wär’.
    Die stille Frau, wie immer in Schwarz, stellte das Glas Bier, das sie grade in der Hand hielt, auf den Tresen und kam mit hinaus.«Auf Wiedersehen», sagte sie, die hatte alles verstanden.
    «Seine Rechnung hat er noch bezahlt», erzählten sich die Leute am andern Tag,«und dann hat er beim Schmied vollgetankt, und dann ist er abgehauen.»Dergleichen hatte man noch nie erlebt, im ganzen Landkreis nicht.«Eigentlich schade um ihn.»

    Er fuhr nach Sassenholz, fuhr an der Kirche vorüber -… Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir… Den Pastor sah er in seiner Studierstube sitzen, unter der Lampe, die Frau trug ihm gerade ein Tablett mit Tee herein. So oft gefehlt und doch immer wieder Gnade gefunden vor dem Herrn…
    Am Kriegerdenkmal saßen zwei junge Leute, Fremde, von sonstwoher, mit zotteligem Haar, die hatten es sich auf den Bänken bequem gemacht. Der eine trug eine Halskette mit Zahnbürste daran, und der andere hielt ein Glöckchen in der Hand und klingelte Matthias damit zu, so etwas hatte Matthias noch nicht gesehen. Diese beiden Typen hätten ihn vielleicht verstanden, denen wäre seine Flucht nicht spanisch vorgekommen.

    Auf der Autobahn stellte Matthias das Radio laut und rief:«Weg! weg! weg!»Er fuhr weiter und weiter. Und während er fuhr, überlegte er immer noch, welche der drei Stunden er hätte vorführen sollen,«April, April, der weiß nicht, was er will?»Oder die Maikäfersache? Oder das Ostergeschehen?
    Er fuhr neben einem Zug dahin, dessen Fenster erleuchtet waren, und tauchte in einen Wald ein, und als er wieder auftauchte, war der Zug abgebogen, er konnte ihn nicht mehr sehen. Er ließ die Stadt links liegen, in der Lilli jetzt dem Rollen der Autobahn lauschte, und fuhr an Hahnewischen vorüber, wo seine Mutter im Altersheim der Inneren Mission am Radio saß und sich klingende Weisen anhörte. Schließlich parkte er sein Auto und legte sich schlafen. Das Wolkengehetze in seinem Gehirn kam zur Ruhe. Seinen Vater sah er durch die Gartenpforte davongehen und nicken. Er schüttelte nicht den Kopf, sondern er nickte.

    Am nächsten Morgen sah er, daß der Parkplatz direkt an der Weser lag: Auch so eine Lebensstation, mit Lilli hatte er hier gesessen, zu Pfingsten, auf einer Decke, die beiden Fahrräder aneinandergelehnt, und sie hatten beobachtet, wie eine Rinderherde durch den Fluß schwamm, wild, das Weiße in den Augen sehen lassend, die Hörner überm Wasser.
    Jetzt in diesem Augenblick würden die Junglehrer in Klein-Wense eintrudeln, die Kinder vor der verschlossenen Schule vorfinden, ratlos, auch der Schulrat in seinem VW, rudert durch die Kinder dahin und verschafft sich Gehör: Was ist denn hier los? Van Dechterong, Carla in Gummistiefeln und Schlosserjacke… Sie pochen an seine Tür, sehen ins Fenster hinein: Ja, schläft denn der Kerl noch?

    Matthias mußte lachen, als er sich das so vorstellte.
    Vielleicht würde«Egon»seinen Kollegen van Dechterong beiseite nehmen…«Aber das ist doch kein Grund, hier alles stehen und liegen zu lassen, ich hatte ihn extra noch nach Lesseps fahren lassen… »Nun doch gut, daß er ihn damals nicht an die Hermann-Sulzbachschule vermittelt hatte… Und doch: ein Schlitzohr zwar, aber ein tüchtiger
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