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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt
Autoren: Walter Kempowski
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plattdeutsch heiße, fragte er sie. Nein, das wußte sie nicht. Dössel? Könne das sein? – Es wär’ drüben sehr einsam jetzt, sagte sie, seit ihr Vater tot wär’. Er könne ruhig mal wieder kommen, in der Küche klönen, das wär’ doch immer so schön gewesen?
    «Lieber nicht», sagte Matthias, und das war’s dann. Der Eleve würde ihr schon zeigen, wo’s langgeht.

52

    A uf seinen Fischzügen nach«Altertum», die er immer noch fortsetzte, obwohl er es eigentlich satt hatte – der Stall war übervoll, und sogar in der Dachkammer hatte einiges untergebracht werden müssen: Tonkrüge jeder Größe -, kam er auch zu der Windmühle. Die Frau fütterte gerade die Hühner, und der Hund wedelte freundlich mit dem Schwanz, als Matthias da angeradelt kam, mit seinem Lastwagenrückspiegel am Lenker und dem rumpelnden Fahrradanhänger, öfter mal nach hinten gucken, ob da einer mit der Faust droht, was dieser verfluchte Lehrer hier zu suchen hat? Er wolle sich die Mühle mal angucken, fragte er die Frau, ob er das wohl darf, ja? Mal auf die Schnelle? – Die Frau griff sich eines der Hühner und nahm es auf den Arm und drückte und streichelte es, gab ihm sogar einen Kuß.«Das haben die gerne», sagte sie,«wenn man sie liebhat.»Und in der Tat, das Huhn, braun mit weißen Flecken,«rothaarig»sozusagen, ließ es sich geschehen, wenn auch mit abgestreckten Beinen, die Zehen gespreizt. Der Hund hingegen nahm das übel, der sprang an der Frau hoch und bellte.
    Die Frau warf das Huhn in die Gegend und sagte: Ja, das dürfe er, aber da gäb’s nicht viel zu sehen.«Alle paar Wochen kommen Menschen, die die Mühle sehen wollen. Neulich sogar ein Professor aus Cuxhaven.»

    Es sei ja eigentlich ein starkes Stück, sagte Matthias: schon fast ein Jahr in dieser Gegend ansässig und noch nie die Mühle angesehen? Mühlen gäb’s ja schließlich nicht wie Sand am Meer?

    Matthias wurde eingelassen in das klapprige Ungetüm, und da stand er wie in einer Kirche, so etwas hatte er noch nie gesehen. Durch eine Luke fiel ein Sonnenstrahl schräg ein. Das war ja richtig romantisch! Die schweren Balken, die oben zusammenliefen, wie in einem Gewölbe… ein großes Mahlrad und ein kleineres , und oben noch im Gebälk weitere Räder. Aber die Zapfen waren alle herausgenommen und verfeuert. Auch der eine der vier Flügel war wohl verfeuert worden.
    In Kirchen müßten auch solche Räder aufgestellt werden, dachte Matthias, und die drehen sich dann, wenn die Leute singen oder beten, und die bewirken es, daß draußen am Portal eine Zahl aufleuchtet, wie auf einem Tachometer, und die zeigt an, ob die Leute an Gott denken oder nicht, leidenschaftlich oder eher lau.

    Die Frau stand neben ihm und ließ die Arme hängen. Sie wußte nicht, wie eine Mühle funktioniert, daß Wind dazu nötig war, das schon, aber im einzelnen?«Das drehte sich dann», sagte sie, und«hier in dies Loch kam das Korn rein.»Sie stammte aus dem Osten, da hatten sie ein Wirtshaus mit Ausspann gehabt.
    Ob überhaupt noch ein Mensch in der Welt wußte, wie eine Windmühle funktioniert, das war die Frage.

    Ein hinkender Mann kam herbei. Was ist hier los? Was geht hier vor? Und er sah mit ihnen hinauf ins Gebälk, und er wußte es ja auch nicht. Hatten sie denn im Osten das Korn noch im Göpel gemahlen?
    Er öffnete eine Falltür und lud Matthias ein hinunterzuklettern in den Lagerraum, in dem es noch immer nach Korn roch. Hier also war abgefüllt worden, hier hatte der Müller schnell mal was vertauschen können und beiseite schaffen.
    Nachdem Matthias sich das lange genug angesehen hatte und auch noch einmal hinaufgeschaut in die Haube, wurde eine Außentür aufgeschlossen, sie führte auf den Umlauf, und beim Aufstoßen der Tür fiel eine Fensterscheibe heraus.

    Matthias trat hinaus auf die Galerie, die rund um die Mühle herumlief, hielt sich am Geländer fest. Wie auf einer Kanzel stand er da: Und er sah nach alter Weise ins Land, und er tat das so, als hätte er so eine schöne Aussicht noch nie gesehen. Von hier war das brennende Bremen zu beobachten gewesen, von hier aus hatte man die Jeeps der Engländer sich die Straße hinaufwinden sehen. Überm Horizont Brandröte und ein weißer Glutstrich darunter.
    Von hier aus hatte man wohl auch auf den Todeszug hinuntergeblickt, die blau-weiß gestreiften Häftlinge, wie sie von einem KZ ins nächste schlurften.
    Es war dieselbe Aussicht, die er damals in sich aufgenommen hatte, vor einem Jahr, als er die
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