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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt
Autoren: Walter Kempowski
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Nazisachen sonderbarerweise…
    Vor den physikalischen Geräten blieb er zähneziepschend stehen und verstummte. So etwas war ihm in seiner Laufbahn noch nicht untergekommen.
    «Dänische Teller haben Sie doch nicht?»Mit so was könne man sich schwer in die Nesseln setzen.

    Am Auto stehend, waren dann noch andere Neuigkeiten zu erfahren: daß die Dorfstraße zur Chaussee ausgebaut werden soll für den Fernverkehr, ein Autobahnzubringer nach Bremen, deshalb hätten die Platanen weichen müssen, wohl auch schon krank, wie sich allerdings erst nach der Beseitigungsaktion herausgestellt habe.

    Der Bankrott des Landhändlers war noch zu erörtern, aus dessen Haus man dreiundsiebzig Sessel herausgetragen habe, in Worten dreiundsie-ben-zig! Jetzt Pächter einer Tankstelle im Harz, eigentlich tragisch die ganze Sache. Er habe die Versteigerung aus der Ferne verfolgt. Die Frau habe ja noch hundertzwanzig Morgen Land besessen, die seien nun auch futsch.
    Am schlimmsten vielleicht das Schicksal des alten ostpreußischen Barons, der die Buchführung des Landhändlers gemacht habe, der säße nun unter Betrugsverdacht im Gefängnis. Nach seiner Verhaftung habe dessen schwarzer Papagei nicht mehr fressen wollen und sei verhungert. Aus Ostpreußen mit hierhergebracht, durch Kälte, Schnee und Eis, und hier dann elend eingegangen.

    Als Matthias dann wieder allein war, stieg er in seine Fluchtburg hinauf und holte die Bleistiftskizze von Kallroy aus dem Koffer, durch den Regen arg gelitten. Die konnte er ja nun leider nicht aufhängen unten, das wäre aufgefallen. Nicht auszudenken, wenn Ellinor hier erschiene und nach ihrer Mappe fragte und die Skizze bei ihm sähe!
    «Ich hatte Ihnen doch vertraut…»
    Aber mit deren Besuch war wohl nicht mehr zu rechnen, ging sie denn überhaupt noch irgendwohin?

    Am Abend kam Carla nach langer Pause mal wieder, verunstaltet, wie sie war. Sie brachte einen Topf Kohl und Pinkel mit, dieses Grützwurstgericht, über das alle Süddeutschen lachen, wenn sie davon hören,«Pinkel», weil sie nicht wissen, was das bedeuten soll. Den Ausdruck«Nonnenfötzchen»halten sie für ganz normal. Matthias füllte sich den Teller und aß alles auf. Ein Schnaps hinterher, nach alter Sitte, und das wär’s eigentlich gewesen, nun hätte Carla eigentlich wieder gehen können. Aber sie wollte doch noch was loswerden. Es machte sich gut, daß es zu regnen anfing, es trommelte aufs Dach, auch Wind kam auf, und der trieb die beiden wieder zueinander, zuerst ans Fenster und dann aufs Bett, die Stühle waren denn doch zu unbequem.
    Kalte Finger hatte sie.
    Es sei nämlich dies, sagte sie, im Bett aufgestützt, daß sie nun doch bald heiraten wollten, Ostern. Halbes Jahr tot der Vater, konnte man da schon heiraten? Würde das gehen?«Hammut»- so nannte sie ihren Verlobten – habe die Schule fertig, und nun ging’s bloß noch um die Flurbereinigung, wegen der Wiesen an der Eische, die sollten eventuell mit dem großen Kartoffelacker nach Sassenholz hin getauscht werden, aber das brauche eben seine Zeit, weil die Bodengüteklassen zu weit auseinander lägen. Sie überlege, ob sie den Namen ihres richtigen Vaters annehmen soll, also Düpong, oder weiterhin bei«Freede»bleiben? – Wenn sie heirate, gehe der Name ja sowieso flöten.

    In Matthias war das Feuer erloschen, er lag neben ihr und atmete tief durch. Die schönen«Flechten»futsch, wenn sie sie öffnete und löste, den Kopf so schüttelte – das war nun vorbei, jetzt waren sie kurzgeschnitten und struppig. Die langen knochigen Glieder…

    In Matthias begann sich trotz allem grade erneut Lebenssaft anzustauen, wie er sich früher auch immer gestaut hatte, wenn er neben ihr lag, ganz automatisch, aber da fing Carla von den Platanen zu reden an, daß sie froh ist darüber, daß man die weggemacht hat, nun hat sie nicht mehr das ganze Laub im Garten! – Und dann wollte sie dies und das noch wissen, und auch auf Müllermann-Ohfe steuerte sie zu, was der denn gewollt habe?
    Das sei ein«gelackten Minschen», immer so scheißfreundlich… Da stand Matthias auf und redete von den«Altertümern»im Stall, daß Müllermann sich lediglich für diese Sachen interessiere, sonst nichts, er habe sie sich nur mal ansehen wollen. – Die Sache mit den Schattenrissen ging niemanden etwas an.
    Aber Carla hatte aufgepaßt, sie hatte gesehen, daß Müllermann zwar durch die ganze Wohnung gegangen aber nicht im Stall gewesen war.

    Ob sie wisse, wie die«Deichsel»auf
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