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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
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ich, dass unsere Spezialisten in der Wohnung bisher nicht die geringste Spur von seinem Mörder gefunden hatten. Keine Fusseln, die seiner Kleidung zuzuordnen waren, kein Haar, keine Hautschuppen, keine Gewebereste unten den Fingernägeln des Opfers – einfach nichts. Offenbar hatten wir es mit jemandem zu tun, der bei aller Brutalität äußerst überlegt und emotionslos vorgegangen war.
    »Und noch was«, Balke schien das Lachen nur mühsam unterdrücken zu können. »Sie glauben nicht, was wir in der Küche gefunden haben. Gut versteckt unter der Spüle.«
    Ich wartete. Mir war nicht nach Ratespielen.
    »Viagra. Zwei Packungen.«
    »Viagra? Ist das nicht eher was für ältere Herren?«
    »Er scheint öfter Mädels zu Besuch gehabt zu haben, sagen die Leute hier.« Die Sympathie in seiner Stimme war unüberhörbar. »Vielleicht hat er sich dabei ein bisschen übernommen?«
    Und schließlich erklärte er mir noch, neben ihm stehe ein höchst aufgebrachter Staatsanwalt, der mehr oder weniger durch Zufall von dem Mord erfahren habe.
    Na wunderbar. Es wäre meine erste Aufgabe gewesen, die Staatsanwaltschaft von dem Tötungsdelikt in Kenntnis zu setzen, und ich Idiot hatte es vergessen. Für die Kripo ist ein guter Draht zu ihrer vorgesetzten Dienststelle lebenswichtig, für ihren Chef ist er überlebenswichtig. Balke gab mir einen empörten Herrn Grüner ans Telefon, und es gelang mir, ihn mit vielen freundlichen Worten und halbseidenen Ausflüchten zu beruhigen. Am Ende meldete Balke sich noch einmal und berichtete mir, sie hätten inzwischen doch noch etwas ähnliches wie Schuhabdrücke gefunden, die vermutlich vom Mörder stammten. Außerdem gab es natürlich den schmutzigen Lappen, der als Knebel gedient hatte. Sonst hatten wir nichts. Absolut nichts.
    Mittlerweile hatten meine Leute an allen Wohnungstüren im Haus geläutet. Kaum eine hatte sich geöffnet. Die meisten Bewohner waren in Urlaub oder zur Arbeit. Die wenigen, die sie antrafen, hatten erwartungsgemäß nichts gesehen und wenig gehört.
    Ich bat Balke, mir Informationen über diese Firma zu verschaffen, der die zweite Penthouse-Wohnung gehörte. Man soll ja als Vorgesetzter niemals den Eindruck erwecken, man wüsste nicht, wie es weitergeht. Er versprach stramm, sich darum zu kümmern.
    Als ich wieder in meinen Sessel sank, hatte ich den Eindruck, dass Klara Vangelis nur mühsam ein Grinsen unterdrückte.
    Eine genau gehende große Standuhr vertickte die Sekunden, durch die Terrassentür sah man in einen kleinen, gut gepflegten Garten hinaus. Draußen stritt ein hysterischer Spatzenschwarm lautstark um irgendwas. In der Nachbarschaft brummte ein Gerät, dessen Zweck mir nicht klar wurde. Ein Mitglied der Familie Grotheer spielte Querflöte, wie ein Notenständer mit aufgeschlagenem Heft verriet. Vivaldi, die Vier Jahreszeiten. Frau Grotheer konnte sich an ihrem Teppich nicht satt sehen. Ein Hauch von Blümchenparfüm hing in der Luft, vermischt mit dem Geruch nach wohlhabender Trostlosigkeit und alten Möbeln. Endlich hielt draußen ein Auto, eilende Schritte, ein Schlüssel in der Tür.
    Sylvia Grotheer sah aus, wie ich mir eine gut genährte und schlecht gelaunte junge Nonne in Zivil vorstellte. Wie ich mühsam in Erfahrung gebracht hatte, studierte sie Medizin im zwölften Semester. Eine Schönheit war sie nicht. Eine Spur zu pummelig, die Nase ein wenig zu spitz, ein etwas zu kleiner Mund.
    »Was ist passiert?«, fragte sie atemlos. »Wer sind Sie?«
    »Polizei.« Ich zeigte ihr meinen Ausweis. Sie sah nicht hin, sondern fixierte mich, als wüsste sie schon jetzt, dass ich an allem schuld war. Sie trug kein Make-up im Gesicht und schien sich die Haare selbst zu schneiden. Über ihrem dünnen, beigen Kaschmir-Pullover baumelte eine Modeschmuck-Kette mit bunten Kugeln, und in dieser Sekunde fiel mir die Frau mit der Perlenkette wieder ein, an die ich seit vergangenem Mittwoch nicht ein einziges Mal gedacht hatte. Diese Frau, die mich angesehen hatte, als würde sie mich seit Ewigkeiten kennen. Vielleicht hörte sie einfach nur schlecht? Schwerhörige sehen einen ja manchmal so übertrieben aufmerksam an.
    Ich weihte Sylvia Grotheer noch im Stehen ein. Und jetzt endlich begann die Mutter lautlos zu weinen. Die Tochter setzte sie sich neben sie und legte mit eher wütender als trauriger Miene den Arm um ihre Schulter. Das Gebrumm im Nachbargarten verstummte. Den Spatzen war es inzwischen zu heiß geworden zum Zanken. Die Standuhr interessierte sich
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