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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
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Manche lächelten zu mir herauf. Andere nicht. Nicht alle meine zukünftigen Untergebenen freuten sich über den Umstand, dass ihr neuer Chef aus Karlsruhe und nicht aus Heidelberg kam. Die eine oder der andere hatte sich in den letzten Monaten, als die Stelle kommissarisch besetzt gewesen war, ausgerechnet, wie groß die eigenen Chancen sein mochten. Liebekind hatte von einer Menge Bewerbungen gesprochen, und ich hatte keine Ahnung, warum man am Ende ausgerechnet mich ausgewählt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war ich gerade mal vierzehn Monate Erster Kommissar und konnte auf knapp drei Jahre Erfahrung als Leiter einer kleinen Fahndungsgruppe zurückblicken. Keine Karriere, die einen unbedingt für die Stellung empfahl, die ich gerade antrat. Und außerdem war ich erst dreiundvierzig und damit eigentlich zu jung.
    Auch einige meiner Karlsruher Kollegen waren gekommen, worüber ich mich zu meiner Überraschung unmäßig freute. Petzold, nicht zu übersehen bei seiner Größe, lungerte wie üblich beim Büfett herum, dicht daneben die blonde Malmberg, mit der er seit einiger Zeit verbandelt war, und Schilling natürlich, der nun, wie er mir sofort berichtet hatte, endlich zum Oberkommissar befördert worden war.
    »In Anbetracht der Hitze und des knapp werdenden Sauerstoffs möchte ich mich kurz fassen«, begann ich und erzählte tapfer etwas von der Verantwortung, der ich mir durchaus bewusst sei, von großen Fußstapfen, in die ich erst noch hineinwachsen müsse, und wunderte mich, dass all dies kein bisschen dümmer klang als die vielen anderen Reden, die ich bei ähnlichen Anlässen schon hatte über mich ergehen lassen müssen.
    Und dann sah ich sie. Sie war groß, das offene Haar changierte zwischen Dunkelblond und Brünett, sie war nicht eben schlank, aber auch nicht füllig. Soweit ich es aus der Ferne erkennen konnte, trug sie einen eleganten tannengrünen Hosenanzug, und im Ausschnitt hing eine dieser altmodischen Perlenketten, wie meine Mutter sie zu festlichen Anlässen gerne getragen hatte. Mit einem halb vollen Sektkelch in der Hand stand sie neben dem Bürgermeister und sah mich mit einem leisen Lächeln im Gesicht unverwandt an. Ungefähr so, wie eine Lehrerin ihren Musterschüler beobachtet, der so lange sein Gedicht geübt und immer wieder aufgesagt hat. Sie hat ihm Mut gemacht, hat mit ihm gelitten und gelernt, und nun ist der große Tag, die Aula ist voll, und wie sie erwartet hat, macht er seine Sache gut. So sah sie mich an, genau so.
    Für eine halbe Sekunde verlor ich den Faden, dann zwang ich meinen Blick in eine andere Richtung, konzentrierte mich auf Petzold als eines der wenigen bekannten Gesichter und erzählte ihm mit fester werdender Stimme, dass er keine großen Veränderungen zu fürchten brauche, dass man gewachsene Strukturen nicht ohne Not zerschlagen solle, dass ich bereit sei zu lernen und für jeden allzeit eine offene Tür und zwei offene Ohren haben werde. Und dass wir mit vereinten Kräften die Aufklärungsquote hochhalten wollten. Nein, würden. Jawohl.
    »Ein Chef ohne seine Mannschaft ist so wenig wert wie ein Haus ohne Wände«, erklärte ich voller Stolz auf dieses Bild, das mir letzte Nacht um halb fünf im Bett eingefallen war. Und natürlich dachte ich wieder einmal an Vera. Fragte mich, was sie wohl von mir halten würde, wenn sie noch da wäre. Bestimmt wäre sie stolz gewesen auf mich, ihren Alex, der nun endlich die Karriere machte, die sie sich immer für ihn gewünscht hatte.
    Die Zwillinge hörten längst nicht mehr zu, sondern kauten andächtig Lachskanapees und Kaviarschnittchen. Es entging mir nicht, dass sie hin und wieder angebissene Happen, die ihnen nicht schmeckten, hinter den Blumensträußen verschwinden ließen. Ich beschloss, ihnen später die Leviten zu lesen.
    Als mein Blick wieder einmal in Richtung Liebekind wanderte, beobachtete mich die unbekannte Frau mit unveränderter Miene. Ich sah schnell weg, um nicht erneut aus dem Konzept zu geraten.
    Schließlich waren meine Notizen zu Ende, ich faltete meinen Zettel zusammen, man klatschte höflich. Liebekind drückte noch einmal herzhaft meine Hand, irgendwer reichte mir ein volles Glas, und ich musste mit allen möglichen wildfremden Menschen anstoßen. Ein verhuschtes Mädchen stellte sich als Mitarbeiterin der Rhein-Neckar-Zeitung vor und stellte mir ein paar sinnlose Fragen zu meinem Werdegang und meinen Plänen. Auch das war neu für mich, ein Interview hatte ich noch nie gegeben. Liebekind blieb in
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