Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tyrann von Hades

Der Tyrann von Hades

Titel: Der Tyrann von Hades
Autoren: Colin Kapp
Vom Netzwerk:
 
Kapitel 1
     
    Zapoketa auf der Saturn-Schale. Imref Varter arbeitete sich langsam über den ramponierten Rasen des Nexonplatzes. Er spähte in die Mülltonnen und steckte hin und wieder ein Metallstück in die sackgroßen Taschen seines voluminösen, fadenscheinigen Mantels. Varter schien nicht weniger heruntergekommen als der verrufene Platz, über den er sich bewegte. Ein flüchtiger Beobachter hätte ihn auf weit über Sechzig geschätzt. Seine Haarpracht bestand aus kurzgeschorenen, steifen Stoppeln, die übergangslos in den Bart übergingen, so daß sein Kopf wie eine mit Fell bedeckte Kugel wirkte. Nur ein Augenpaar, gerötete Wangen, die Nase und überraschend rote Lippen stachen aus dem Fell hervor. Er hatte sich einen Knöchel verstaucht, was seinen Gang schwankend machte. Dennoch hielt er sich aufrecht, und seine wachen und lebendigen Augen verrieten, daß es sich bei ihm nicht um einen der gewöhnlichen Penner handelte, die diesen Bezirk Zapoketas durchstreiften.
    Trotz seines Äußeren beachteten ihn die Kinder, die auf dem Platz spielten, nicht. Man betrachtete ihn als jemanden, den man eher ignorierte als mied oder fürchtete, und sein Kommen und Gehen erregte derart geringes Interesse, daß sich nur die wenigsten entsinnen konnten, wo und wann sie Imref zum letzten Mal gesehen hatten. Die Gleichgültigkeit seiner Umwelt kam Varter gerade recht. Er konnte keine Mitwisser gebrauchen. Physische Unsichtbarkeit wäre ihm bei der Erfüllung seiner Aufgabe gelegen gekommen, aber in Ermangelung technischer Möglichkeiten begnügte er sich mit ihrem psychologischen Äquivalent: Egal, was er tat oder wohin er ging, es scherte niemanden, selbst die Polizei nahm keine Notiz von ihm.
    Auf der gegenüberliegenden Seite ging der Nexonplatz in die Liss-mal über, einen bunt schillernden Boulevard und eine der Hauptverkehrsadern des Ballungszentrums Zapoketa. Hier wetteiferten Theater, Clubs und andere Unterhaltungsstätten mit Läden und Restaurants um die Brieftaschen jener, die die Liss-mal für den Nabel des Universums hielten. Die Grundstückspreise waren so hoch, daß sich dort nicht einmal die Förderung von Diamanten gelohnt hätte. Im Mischmasch der Liss-mal fanden sich Etablissements, die jedes erdenkliche menschliche Bedürfnis befriedigten. Diese Bedürfnisse waren ebenso häufig bizarr wie gewöhnlich, und daher überraschte es nicht, daß sich neben Mistress Sins Sex-Palast – wahrscheinlich einem der teuersten und exklusivsten Bordelle aller Zeiten – eine Einrichtung fand, die sich Cherrys Unglaubliches Holo-Theater nannte. Dort wurde gerade DIE PHANTASTISCHE REISE DURCH DAS SOLARE UNIVERSUM gezeigt, eine dreidimensionale Holo-Aufführung. Neben dem Theater wiederum fand sich eine Tür, an der ein schlichtes Schild angebracht war: MAQ ANCOR. EINGETRAGENER MÖRDER.
    Es waren diese drei Etablissements, denen Imref Varters Aufmerksamkeit galt. Sie teilten sich einen Spezialbau in einem der teureren Abschnitte der Liss-mal, und seine Nachforschungen hatten ergeben, daß angesichts der Bau- und Bodenpreise keines von ihnen Gewinn abwerfen konnte. Natürlich erfreute sich Mistress Sins Sex-Palast zurecht großer Beliebtheit, aber sie hätte ihr Haus in einem anderen Rotlichtbezirk gehobenen Niveaus für einen Bruchteil der jetzigen Miete betreiben können. Auch Cherrys Unglaubliches Holo-Theater war täglich ausverkauft, aber die Eintrittspreise waren so niedrig, daß Cherry mit den Erlösen kaum die laufenden Kosten des Theaters decken konnte. Und was Ancor, den Mörder, anging – in drei Monaten hatte er nicht einen einzigen Kunden gehabt. Der Grund dafür war einfach: Wer wäre schon so dreist, in Zapoketas Hauptverkehrsstraße durch die mit einem Schild gekennzeichnete Tür eines Mörder zu marschieren, um ein Attentat in Auftrag zu geben?
    Hinter diesen drei Etablissements mußte sich also, wie bei der Lagebesprechung des Geheimdiensts spekuliert worden war, mehr verbergen, aber trotz monatelanger, geduldiger Ermittlungsarbeit hatte Imref Varter immer noch nicht den geringsten Hinweis auf die Organisation erhalten, die sich hinter dieser faszinierenden Fassade versteckte. Die Besitzer verließen nur selten das Haus, die Überwachung der Telephon- und Videoleitungen hatte nichts Verdächtiges zu Tage gefördert. Und in den vergangenen drei Monaten hatte nicht eine einzige verdächtige Person die Etablissements aufgesucht. Wenn es nach Imref gegangen wäre, hätte er den Fall zu den Akten gelegt.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher