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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
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der Nähe und hörte mit gesenktem Blick zu. Aber ich schien die richtigen Antworten zu finden.
    Dann drängten die Karlsruher heran, um sich zu verabschieden. Birgit Malmberg überreichte mir eine grüne Flasche ohne Etikett, und Petzold erklärte, darin befinde sich ein köstlicher Kirschbrand aus leider nicht ganz legaler Produktion. Malmberg stieg auf die Zehenspitzen, um mir einen Kuss auf die Backe zu drücken, Schilling hielt lange, lange meine Hand, die inzwischen anfing wehzutun, und erzählte mir allerlei von den alten Kollegen und seinen neuen Karriereplänen. Und außerdem seien sie alle überhaupt nicht glücklich darüber, dass ich sie nun allein lassen würde. Merkwürdigerweise rührte mich das so, dass ich ihn um ein Haar in den Arm genommen und an mich gedrückt hätte.
    Plötzlich rückten die Zwillinge in den Mittelpunkt des Interesses.
    »Wie heißen denn Ihre zwei entzückenden Töchter?«, fragte mich eine wie für einen Opernbesuch gekleidete Dame mit blasslila Haaren.
    »Louise und Sarah«, erwiderte ich höflich.
    Die Reihenfolge war dabei sehr wichtig, weil man im umgekehrten Fall unweigerlich von irgendeinem Witzbold gefragt wurde, ob Saarlouis etwa ihre Patenstadt wäre. Auf die Frage, wie um Gottes Willen ich die beiden auseinander halten könne, antwortete ich wahrheitsgemäß: »Überhaupt nicht.« Vera hatte sie auf hundert Meter erkannt, ich nie. Nur ganz aus der Nähe gelang es mir, sie anhand einer kleinen Narbe an der Stirn zu unterscheiden, die Sarah sich im Alter von vier Jahren bei einem Fahrradunfall zugezogen hatte. Ich war sicher, dass sie in der Schule hin und wieder die Plätze tauschten, um wechselseitig ihre Noten aufzupolieren. Aber niemand konnte etwas dagegen tun, sie waren einfach zu ähnlich und weigerten sich, seit sie sprechen konnten, sich anders als vollkommen identisch zu kleiden und zu benehmen. Ich hatte von Zwillingspaaren gehört, die irgendwann bestrebt waren, eigene Identitäten zu entwickeln. Meine Töchter schienen diesen Drang bisher nicht zu spüren, obwohl sie inzwischen dreizehn Jahre alt waren.
    Als ich wieder zur Besinnung kam, war die Frau mit der Perlenkette verschwunden. Und gegen neun löste die Veranstaltung sich ziemlich plötzlich auf.
     
    Zu diesem Zeitpunkt muss Patrick Grotheer gestorben sein. Langsam, tropfenweise verblutet. Ungefähr neunzig Minuten lang.

2
    Die Tage, bis ich meine neue Stelle antreten sollte, verbrachte ich damit, den Verkauf unseres Hauses in Karlsruhe vorzubereiten und über den kommenden Umzug nachzudenken. Nahezu täglich fuhr ich mit meinen Töchtern nach Heidelberg, um Stadtviertel zu besichtigen und Schulen von außen zu begucken, die natürlich wegen der Sommerferien alle noch geschlossen waren. Schon vor Wochen hatte ich einen Makler beauftragt, eine schöne, große Altbauwohnung für uns zu finden, bisher aber noch keine Angebote erhalten. Die Zwillinge gaben sich erwachsen, vielleicht weil sie fühlten, dass ich zurzeit nicht viel vertragen konnte.
    Immer wieder grauste mir vor all den Veränderungen und unbekannten Anforderungen, die unaufhaltsam auf mich zukamen. Weder war ich mir sicher, meinem neuen Job gewachsen zu sein, noch, dass ich ihn wirklich haben wollte. Eigentlich hatte ich mich mehr aus Verlegenheit beworben und mit dem Gedanken, dass es nie schaden könne, auf diese Weise schon mal für den Ernstfall zu üben. Dann war zu meiner Überraschung die Einladung zum Vorstellungsgespräch gekommen und schon zwei Wochen später die Zusage, verbunden mit der Aussicht auf sofortige Beförderung zum Kriminalrat.
    Ich war immer gerne Polizist gewesen. Es machte mir nichts aus, Verantwortung zu tragen, ein Team zu führen. Nur eines hatte ich niemals werden wollen: ein Schreibtischtäter, der die Welt nur noch durch die Berichte seiner Untergebenen kennt. Und genau dies war es, was mir nun bevorstand.
    Den Samstag verbrachte ich damit, den Keller auszumisten, alles Mögliche und Unmögliche aus Regalen und alten Schränken zu zerren und im Vorraum einen großen Stapel zu bilden mit Dingen, die den Umzug nicht erleben würden. Auf einmal freute ich mich auf einen von Erinnerungen unbeschwerten Neuanfang in fremder Umgebung. Ich genoss die körperliche Tätigkeit und nahm mir vor, endlich wieder mehr auf meine Gesundheit zu achten, ein bisschen Sport zu treiben, hin und wieder das Rad zu nehmen und den Wagen stehen zu lassen.
     
    Am ersten September, einem Montag, begann mein Dienst. Ohne zu
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