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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
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»Warum?«
    Irgendwie war ich auf dem Rücksitz gelandet, beschloss aber, dass mir das nichts ausmachte. Autorität hat nur bei altmodisch denkenden Menschen mit Sitzordnung zu tun.
    »Muss ja nichts zu bedeuten haben«, erwiderte Balke ausweichend. »Den Namen wird’s mehr als einmal geben.«
    Sven Balke war von der Sorte, die meine Töchter seit neuestem in die Kategorie »supersüße Jungs« eingruppierten. Man sah und hörte, dass er aus dem Norden stammte. Er trug enge Jeans und ein T-Shirt, das jede Rundung seines muskulösen Oberkörpers nachzeichnete. Im rechten Ohr zählte ich drei und im linken fünf silberne Ringe. Seine Hautfarbe verriet, dass er sich gerne und oft im Freien aufhielt und es wie viele Hellblonde nicht vertrug. Seinen Kopf zierte eine Art Dreitage-Glatze, mit dem Rasieren schien er sich nicht viel Arbeit zu machen.
    In einem lebensgefährlichen Manöver überholte Vangelis einen Bus und schaffte es gerade eben, nicht mit der entgegenkommenden Straßenbahn zu kollidieren.
    »Nu mach mal halblang, Mädchen! Der läuft uns ja nicht weg«, maulte Balke. Sein Handy fiepte.
    »Oh, oh«, sagte er leise, nachdem er die SMS gelesen hatte.
    »Die von gestern?«, fragte Vangelis leichthin und setzte schon wieder den Blinker zum Überholen.
    Betrübt schüttelte er den Kopf. »Immer noch die von Dienstag. Schlimme Klette, das Kind.«
    »Irgendwann muss dich ja mal eine an den Haken kriegen«, meinte sie achselzuckend.
    »Nicht, bevor ich vierzig bin.«
    Siebzehn Minuten nachdem das Telefon geklingelt hatte, kletterte ich benommen aus dem Wagen. Ein verstörter Mittvierziger mit dunklem Vollbart und zwei ungewöhnlich blasse Streifenpolizisten begrüßten uns mit Mienen, als ginge es zu einer Beerdigung. Im Lift zum obersten Stock zogen wir unsere fusselfreien Latex-Handschuhe an. Vangelis ließ sich von den aufgeregten Schupos Bericht erstatten und tat, als wären Balke und ich gar nicht da.
    Der Körper eines erwachsenen Menschen enthält ungefähr fünf Liter Blut. Ein halber Putzeimer voll, mehr nicht. Zudem muss man in Rechnung stellen, dass ein Mensch, dessen Pulsadern geöffnet werden, nicht einmal die Hälfte seines Bluts verliert. Dann versagt das Herz, der Rest bleibt im Körper zurück und gerinnt im Lauf der folgenden Stunden. Alles in allem konnte der Tote also kaum mehr als zwei Liter Blut verloren haben. Aber wenn diese zwei Liter in einem siebzig Quadratmeter großen Raum verteilt sind, der zudem weitgehend in Weiß gehalten ist, dann ist das eine Menge. Schwarzes, geronnenes Blut war das Erste, was ich sah. Überall. Es war eine Schweinerei ohnegleichen.
    Der Hausmeister weigerte sich panisch, die Wohnung noch einmal zu betreten. Meine Croissants drängten zusammen mit zwei Tassen Kaffee an die frische Luft. Auch Balkes Blick schien fieberhaft die richtige Tür für den Krisenfall zu suchen. Klara Vangelis riss die breite Glastür zur Terrasse auf. Ich sah mich kurz um. Der Täter hatte sein Opfer an das Kopfteil des großen Betts gefesselt, das an der Wand gegenüber der Terrassentür stand, ihm die Pulsadern aufgeschnitten und es langsam verbluten lassen.
    Als ich den Gestank nicht mehr aushielt, sagte ich: »Warten wir, bis es ein wenig durchgelüftet hat«, und trat auf die Terrasse hinaus. Balke folgte mir aufatmend. Vangelis blieb drin.
    »Diese Frau ist ein Tier«, murmelte er, als er neben mich ans Geländer trat.
    »Lächelt sie auch manchmal?«
    »Eher selten.«
    Die Aussicht war beeindruckend. Das Hochhaus stand in einer Lage, wo man eher Villen als sozialen Wohnungsbau erwartet hätte. Unter uns am Hang verstreut einige kleine Weingärten, hinter uns Wald, vor uns ausgebreitet das Oberrheintal, heute ausnahmsweise ohne die übliche Dunstglocke. Ein hellblauer Bus quälte sich die kurvige Straße herauf. Balke gab mir einen Schnellkurs in Heimatkunde.
    »Da unten, das ist Rohrbach. Dort draußen sehen Sie die Autobahn. Und da ganz rechts hinten, das sind die Campbell Barracks. US-Hauptquartier der Landstreitkräfte Europa. Richtig wichtig.«
    »Hier gibt’s immer noch Amerikaner?«
    »Nicht mehr so viele wie früher, aber immer noch genug.« Langsam kam wieder Farbe in sein Gesicht.
    In der Ferne heulte ein Martinshorn, kurze Zeit später hielt unten der Notarztwagen hinter unserem BMW. Zwei breite Kerle in Orange stiegen aus und bewegten sich ohne Eile auf den Eingang zu. Natürlich wussten sie schon, dass es hier kein Leben zu retten galt. Von drinnen hörte ich kurze
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