Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
nach einem Ring. Sie trug keinen. Als Vera noch da war, hatte ich mich natürlich auch für andere Frauen interessiert. Welcher Mann kann das abstellen, auch wenn er noch so glücklich verheiratet ist? Aber damals kreisten meine Phantasien eher darum, wie eine Frau im Bett war, wie man sie herumkriegen könnte. Heute war mein erster Gedanke, wie sie sich wohl als Mutter meiner Zwillinge machen würde. Ob sie beim Frühstück gute Laune hatte. Ob sie angesichts einer ausgelaufenen Waschmaschine zu weinen begann.
    Bei Marianne Schmitz war ich von der ersten Sekunde an davon überzeugt, dass sie nach dem Aufwischen umgehend beginnen würde, die Maschine zu zerlegen und in Ordnung zu bringen. Sie war eine Frau von der Sorte, bei der man als Mann auch mal zugeben kann, dass man sich rettungslos verfahren hat. Ich verliebte mich auf der Stelle in sie.
    Sie zog ihre Hand zurück. »Wegen Patrick kommen Sie?«, fragte sie in einem Ton, als wäre dies überaus erfreulich, und wirbelte hinter ihren Chrom-und-Glas-Schreibtisch. Von dem Mord hatte sie natürlich noch nicht gehört. Aber auch sie machte nicht den Eindruck, als würde die Nachricht sie sonderlich berühren. Aus einer Thermoskanne schenkte sie sich eine trübe Flüssigkeit in eine ziemlich schmutzige Tasse. Plötzlich wusste ich, woher der merkwürdig süßliche Geruch kam, der im Zimmer hing.
    »Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen nichts davon anbiete«, erklärte sie lächelnd. »Aber das hier kann nur ich trinken.«
    »Tee?«, fragte ich.
    »So viel Kaffee, wie Sie hier zum Überleben brauchen, können Sie nicht trinken, ohne sich die Leber zu ruinieren. Ich mische ihn mir selbst. Die Basis ist grüner Tee. Mehr verrate ich nicht, sonst hetzen Sie mir noch die Drogenfahndung auf den Hals.«
    Womit wir beim Thema waren.
    »Er soll vor einer Woche hier gewesen sein.«
    »Patrick? Stimmt. Er wollte zum Chef.«
    »Können Sie mir sagen, worum es ging?«
    Ihr offener Blick wich keine Sekunde aus meinem Gesicht.
    »Leider nein.«
    Ich trat ans Fenster. Unten lag eine kleine, etwas verwahrloste Parkanlage, dahinter Wiesen und schließlich der Neckar im Hitzedunst. Ein leerer Frachtkahn brummte emsig flussabwärts. Pralle, blendend weiße Sommerwolken trieben schläfrig über die Stadt.
    Ich wandte mich wieder der Ärztin zu. »Das Verhältnis zwischen Ihrem Chef und seinem Sohn soll nicht besonders gut gewesen sein.«
    Inzwischen lächelte sie nicht mehr. »Die beiden hassten sich, wie nur Väter und Söhne sich hassen können.«
    Vangelis, die inzwischen in meinem Auftrag ein wenig beim Personal der Station herumspioniert hatte, trat ein und setzte sich leise auf einen der Stühle an dem runden, mit Ordnern und Büchern überladenen Tischchen. Ein Stethoskop, das obenauf lag, kam ins Rutschen. Ohne Hast fing sie es auf und platzierte es wieder auf dem Bücherturm.
    Marianne Schmitz erzählte in professionell sachlichem Ton und knappen Sätzen von Patrick Grotheers Jugend. Wir erfuhren, er sei intelligent gewesen, sehr intelligent, habe aber schon früh begonnen, sich gegen den übermächtigen Vater aufzulehnen.
    »Ist vermutlich nicht leicht, Sohn eines weltberühmten Mannes zu sein. Man kann schlecht groß werden, in so einem Schatten.«
    »Professor Grotheer ist ein strenger Vater?«, fragte Vangelis mitfühlend.
    »Er hat seine Maßstäbe.« Die Ärztin nahm einen Schluck von ihrem Spezialtee und wollte fortfahren, aber in diesem Moment flog die Tür auf. Eine Schwester kam hereingestürzt.
    »Entschuldigung. Aber …« Hilflos hob sie den Block, den sie in der Hand hielt.
    »Was liegt an?«, fragte Marianne Schmitz mit schmalen Augen und stellte ihre Tasse ab.
    »Unfall auf der A 5 am Walldorfer Kreuz. Ein Bus. Wir müssen vier Schwere nehmen«, stieß die Schwester hervor. »Den Rest bringen sie woanders unter. Aber die vier Schweren, die müssen wir nehmen. Sie haben schon alles versucht.«
    Die Ärztin stieß die Luft durch die Nase. »Und was haben wir frei?«
    Die Schwester überflog ihre Notizen. »Die Zwei und die Fünf sind frei. In der Drei operieren sie gerade den Fenstersturz. Die Eins können wir vergessen, da sind die Leute drin, die die neue Videoanlage installieren, und in der Vier ist schon wieder die Herz-Lungenmaschine kaputt. Aber mit der Reparatur sind sie jeden Augenblick fertig, sagen sie.«
    »Wie viel Zeit haben wir noch?«
    »Viertelstunde, höchstens. Die Ersten sind schon abgefahren. Ein Multi-Trauma mit Verdacht auf Wirbelsäulenfraktur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher