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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
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Papier.
    »Was ist Ihr Vater für ein Mensch?«, fragte ich.
    »Pa?« Sylvia Grotheer stellte ihren Becher ab. »Nun …« Nachdenklich sah sie abwechselnd Vangelis und mir ins Gesicht, als würde sie zum ersten Mal in ihrem Leben über ihren Vater nachdenken. »Eigentlich«, begann sie endlich, »aber lachen Sie bitte nicht.«
    »Wir lachen selten bei der Arbeit«, sagte Vangelis freundlich.
    »Im Grunde ist er so etwas wie ein moderner Heiliger. Manchmal habe ich gedacht, sein Vorname, Franz, ist so etwas wie ein Programm für ihn, eine Verpflichtung.«
    »Wollen Sie damit sagen, er ist sehr religiös?«
    Entschieden schüttelte sie den Kopf. »Nein. Nicht so. Der heilige Franziskus, der in selbst gewählter Armut lebte. Sehen Sie, Pa verdient wirklich nicht schlecht hier, in seiner Position. Aber Sie waren vorhin in unserem Haus, Sie kennen unsere Einrichtung. Meine Eltern fahren einen dreizehn Jahre alten Volvo. Ich selbst bekomme von ihnen jeden Monat exakt den Betrag, der mir nach Bafög zusteht, und keinen Cent mehr.«
    »Was macht er dann mit seinem Geld?«
    Unsicher sah sie auf und senkte den Blick gleich wieder. »Er tut Gutes. Finanziert Krankenhäuser in der Dritten Welt. Somalia, Afghanistan, Mali. Es gibt eine Stiftung, deren Kapital zum größten Teil von seinen Konten stammt. Er spricht wenig über diese Dinge. Er würde es auch nicht mögen, dass ich Ihnen davon erzähle. Die Wenigsten wissen davon.«
    »Bemerkenswert.« Ich meinte es ehrlich.
    Ein kurzes eitles Lächeln flog über ihr Gesicht. »Für Pa gibt es nur seine Arbeit und die damit verbundenen Pflichten. Seine Vergnügungen beschränken sich auf ein Viertel Wein am Sonntagmittag und hin und wieder einen Spaziergang den Neckar entlang. Und selbst dann spricht er noch am liebsten über sein Fach, über seine Forschungen.« Sie sah an uns vorbei auf die Wand. »Um ehrlich zu sein, wir waren nicht immer glücklich über seine Haltung. Auch Mutter nicht. Es ist nicht besonders witzig, mit einem Heiligen zusammenzuleben.«
    Lautlos öffnete sich die Tür. Ein Mann in blauem Kittel trat ein und tauschte die Handtücher aus. Er hatte langes aschgraues Haar, das im Nacken zu einem Schwänzchen gebunden war. Sylvia Grotheer grüßte ihn mit einem Nicken. Er nickte zurück und verschwand ebenso still, wie er gekommen war. Er mochte in den Sechzigern sein, hatte scharfe Gesichtszüge und zog das linke Bein ein wenig nach. Draußen lief das Triebwerk des Hubschraubers wieder hoch.
    »Ach, Moment«, rief sie plötzlich, sprang auf und lief dem Mann nach. Sekunden später kam sie zurück und setzte sich wieder.
    »Diese Lampe«, erklärte sie leicht außer Atem und wies auf die flackernde Röhre an der Decke. »Er soll sie endlich mal in Ordnung bringen. Man wird ganz verrückt von dem Geblitze.«
    Mit lauter Stimme nahm ich das Thema wieder auf. »Sie hatten keine bequeme Jugend?«
    »Wir waren immer die mit dem wenigsten Taschengeld in der Klasse. Starke Pflanzen wachsen in rauer Umgebung, sagt er immer, nicht im Gewächshaus.«
    Ich beschloss, meine Töchter diesen Satz auswendig lernen zu lassen.
    »Ihr Bruder war vermutlich anderer Ansicht«, rief ich gegen den Lärm an.
    Sie schloss die Augen.
    Draußen hob endlich mit knatterndem Rotor der Rettungshubschrauber ab und entfernte sich rasch.

5
    Wie erwartet, bestellte Liebekind mich umgehend in sein Büro, als wir zurück waren. Natürlich war er sauer.
    »Hören Sie, Herr Gerlach …«
    »Ich weiß«, sagte ich und tat schuldbewusst.
    »Die Staatsanwaltschaft kocht!«
    »Wird nicht wieder vorkommen.«
    »Ich finde es ja gut und schön, dass Sie sich so intensiv um die Arbeit Ihrer Leute kümmern. Aber Ihr Platz als Chef ist nun mal hier und nicht irgendwo da draußen auf der Straße.«
    Ich guckte so betreten, wie es nur ging. »Ich …«
    »Nein«, fuhr er mir ins Wort. »Vergessen Sie es. Machen Sie einfach Ihre Arbeit. Und reden Sie gleich, und damit will ich sagen: sofort, mit der Chefin der Staatsanwaltschaft persönlich. Frau Doktor Steinbeißer. Sie wird Sie grillen, bis Sie gar sind. Aber das haben Sie sich selbst eingebrockt, da müssen Sie jetzt durch.«
    Ich versprach, mich umgehend bei ihr zu melden.
    »Und tun Sie bei ihr mindestens so zerknirscht wie hier bei mir. Sie machen das gut. Und sie mag das.« Liebekind gehörte nicht zu den Menschen, die einem lange böse sein können.
    »Darf ich eine Frage stellen?«
    Er lehnte sich zurück, faltete die fleischigen Hände auf dem Tisch und
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