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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
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kommt per Luftpost, der muss jeden Moment landen.«
    Marianne Schmitz sprang auf und schenkte uns ein letztes abwesendes Lächeln. »Okay«, sagte sie. »OP zwei, vier und fünf fertig machen. Sehen Sie zu, dass das Personal an Deck ist. Und das Team in der Drei warnen Sie vor. Sie sollen sich darauf einstellen, dass sie abbrechen müssen.« Sie wandte sich an uns: »Sie entschuldigen. Aber Sie sehen ja …«, und ging.
    Mein Blick folgte der energischen Blonden, bis sie verschwunden war. Aus der Ferne hörte ich das rasch lauter werdende Brummen eines Hubschraubers.
    Klara Vangelis berichtete mir, dass zwei der Schwestern Patrick Grotheer am vergangenen Montag gesehen hatten. Aber auch die wussten nicht zu sagen, was er hier gewollt haben könnte.
    »Reden wir nochmal mit der Tochter«, entschied ich. »Inzwischen hat sie Zeit gehabt zum Nachdenken.«
    Nach einigem Suchen und Fragen fanden wir Sylvia Grotheer im Keller des gegenüberliegenden Kolossalbaus, in dem sich das Deutsche Krebsforschungszentrum befand. Sie war allein in dem lang gestreckten Laborraum. Es roch, als würde Essig gekocht.
    Sie drückte ein paar Tasten an einem Laptop, schaltete ein sirrendes Gerät aus, stellte achtsam einige Glasschalen in den Kühlschrank und begleitete uns zu einem fleckigen Tisch in der Ecke, auf dem eine eingeschaltete Kaffeemaschine stand. Eine der Neonröhren an der Decke, die den dunklen Souterrain-Raum beleuchteten, flackerte leise knisternd. Sylvia Grotheer trug jetzt einen nicht ganz sauberen weißen Kittel und bestätigte alles, was wir über das Vater-Sohn-Verhältnis in Erfahrung gebracht hatten.
    »Aber was spielt das jetzt noch für eine Rolle?«, fragte sie.
    »Erst mal keine. Wann wird Ihr Vater zurück sein?«
    »Morgen. Morgen Abend.«
    Erstaunt sah ich auf. »Nicht früher? Immerhin ist sein Sohn gestorben?«
    »Diese Veranstaltung in Palo Alto ist einer der größten Kongresse im Arbeitsgebiet meines Vaters weltweit. Außerdem ist er Chairman und kann nicht so einfach davonlaufen.« Angestrengt betrachtete sie ihre kurz geschnittenen, unlackierten Fingernägel. »So ist er nun mal. Er nimmt seine Arbeit sehr ernst. Und was könnte er hier schon tun? Um Mutter kümmere ich mich schon.«
    Ich sah auf meinen Block. »Was können Sie uns über den Bekanntenkreis Ihres Bruders sagen?«
    »Kaum etwas. Nichts eigentlich.«
    »Keinen einzigen Namen?«
    Einige wusste sie dann doch zu nennen. Einen ehemaligen Klassenkameraden namens Oliver Barzsch, zu dem er noch Kontakt hatte. Britt Seebach, eine frühere Freundin, die er noch hin und wieder getroffen hatte.
    »Im Frühjahr hab ich ihn zwei, drei Mal zusammen mit einer Clique gesehen. Und da war Fitz dabei.«
    »Fritz?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Fitz. Fitzgerald. Sie scheinen sich öfter getroffen zu haben, so wie die sich aufführten. Schulterklopfen, an die Brust boxen, wie Jungs das so machen.«
    »Wo war das?«
    »Mal vor der Mensa, mal in der Stadt.« Draußen kam ein Krankenwagen an. Sie schwieg, bis das Martinshorn ausgeschaltet wurde. »Fitz war auf derselben Schule wie wir. Die Gardeners haben damals in der Nachbarschaft gewohnt, und wir waren viel zusammen. Später sind sie weggezogen, und Fitz hat die Schule gewechselt. Aber wir hatten immer noch Kontakt. Haben uns hin und wieder getroffen, was zusammen unternommen. Irgendwann hat man sich dann aus den Augen verloren.«
    »Welche Schule war das?«, fragte Vangelis.
    Sylvia Grotheer machte eine Handbewegung ins Unbestimmte. »Das Bunsen-Gymnasium. Gleich hier um die Ecke. Aber da war er nur bis zur Sechsten.« Sie rieb sich mit dem Handrücken das rechte Auge, schenkte sich Kaffee ein und nahm ein paar vorsichtige Schlucke. »Von der anderen Schule soll er später geflogen sein, habe ich gehört. Wegen irgendeiner Drogengeschichte. Aber das habe ich nur gehört.«
    »Können Sie ihn beschreiben?«
    »Die letzten Male sah er aus wie ein Rocker. Motorradfahrerkluft, schrille Haare, gefärbt, wie ein Leopardenfell. Sah unmöglich aus.« Sie blinzelte und rieb sich wieder das Auge. »Er ist nicht besonders groß, einsfünfundsiebzig vielleicht, aber kräftig, ziemlich kräftig. Breite Schultern und ein wiegender Gang, wie ein Fußballspieler. Irgendwie angeberisch.«
    »Sie mögen ihn wohl nicht besonders?«
    Als Antwort erhielt ich ein Schulterzucken. Draußen verstummte endlich das letzte Martinshorn. Nur der Rotor des Hubschraubers lief noch im Leerlauf. Vangelis’ Stift kratzte auf dem
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