Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Titel: Wieweitdugehst - Wieweitdugehst
Autoren: Friederike Schmöe
Vom Netzwerk:
1
    Ich stand auf die Scorpions. Wind of change. Der Song war nicht mehr taufrisch, aber mein nagelneuer MP3-Spieler ließ mich die Aussicht auf einen Abend im Bierzelt besser ertragen. Change. Veränderung. Ein Zauberwort. In meinem Leben veränderte sich ständig alles. Zurzeit war ich auf der Suche nach einem neuen Wagen. Mein alter war bei einer Bombenexplosion pulverisiert worden. Irgendwie war in meinem Leben ein Häkchen auf der Liste mit der Aufschrift ›Bombe‹ gesetzt worden.
    »Was hast du gesagt?« Nero schloss seine Wohnungstür ab.
    »Nichts«, sagte ich müde. Oktoberfest. Nichts für mich. Wir stiegen die Treppe hinunter und traten auf die tropisch warme, spätsommerliche Hohenzollernstraße hinaus. Schwabing tobte und brodelte. Wir wurden von einer Woge Fußgänger umspült und davongetragen. Ich hasste es.
    »Markus freut sich. Er hat mehrmals gefragt, ob wir gemeinsam kommen«, ermunterte Nero mich. »Die Platzreservierung fürs Bierzelt hat er über Beziehungen gekriegt. Frag mich nicht, wie er das gemacht hat.«
    Schon gut, ich habe verstanden, Käptn. Mein Freund, Mann, Lover, Amant Nero Keller, Hauptkommissar am Landeskriminalamt in München, war froh, dass die Beförderung an ihm vorbeigegangen war und seinen Kollegen Markus Freiflug erwischt hatte. Markus würde von nun an eine Koordinationsstelle zur Vernetzung von Ermittlerteams in Sachen Cyberkriminalität leiten. Zuerst hatte Nero sich bewerben wollen. Doch letztlich war ihm seine Dozententätigkeit wichtiger, die er vor ein paar Wochen wieder aufgenommen hatte. Er bildete in ganz Bayern Kollegen im Umgang mit dem Internet und Computerkriminellen aus.
    »Kea?« Er sah mich von der Seite an. »Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders, kann das sein?« Sanft berührte seine Hand meinen Ellenbogen. Eine Tussi im Lederdirndl rempelte mich an. Die bemühte Folklore ging mir auf die Nerven. Das ganze Fest ging mir auf die Nerven, die ständigen Berichte in der Zeitung über die Mengen an Bier, die bereits getrunken, die Hendln, die verspeist worden waren. Die Massengaudi infizierte mich nicht.
    »Kann sein.« Es gab Momente, in denen mochte ich nicht dabei gestört werden, wie ich meinen Gedanken nachblickte. Wie eine alte Frau am Fenster, auf ein Kissen gestützt, sah ich ihnen beim Promenieren zu. »Sorry.« Unsere letzten Tage waren nicht übermäßig harmonisch gewesen, und ich gab mir Mühe, zu einem entspannten Umgangston zurückzukehren.
    »Ich weiß, du hasst die Wiesn.«
    »Ich dachte, du kannst sie nicht ab.«
    Nero lachte. Das gefiel mir. Er tat es zu selten. Zu gestresst war er von seinem Job, zu unsicher, ob die Beziehung mit mir hielt, weil ich ein freier Vogel war, eine Schneegans, die einem unerklärlichen Ruf folgend jederzeit bereit war, in die Subarktis aufzubrechen. Bei dem ganzen Chaos und Lärm um uns herum erschien mir die Subarktis tatsächlich wie ein leuchtender Außenposten des Paradieses.
    Wir sprangen in die Straßenbahn. Ich hatte auf nichts Lust, weder auf das Oktoberfest noch auf Neros Kollegen, und ich beneidete alle, die an den folgenden Stationen ausstiegen. Dieser Wiesn-Termin war ein Kompromiss. Und Kompromissbereitschaft war nicht so meine Art.
    »Ich habe nicht vor, bis in die tiefe Nacht zu bleiben«, sagte ich gegen das Rattern der Tram und das Grölen einiger Fahrgäste anschreiend, die sich schon eine satte alkoholische Grundlage für die kommenden Stunden angetrunken hatten. »Morgen will ich raus nach Fürstenried und ein Auto anschauen.«
    »Nein. Nein, wir bleiben nicht übermäßig lange.« Nero verbarg sein leises Stöhnen mehr schlecht als recht.
    Weder er noch ich hätten die Augen zu verdrehen brauchen. Es war auch völlig unnötig, dass ich den Kopf an die Scheibe lehnte und zum Fenster hinaussah, in einen blassen, dunstigen Spätnachmittag, während in meinen Ohren zum x-ten Mal der Wind der Veränderung besungen wurde. Denn dieser Abend wurde anders. Ganz anders.

2
    Menschenansammlungen verursachten mir Atembeschwerden. Die Terrorvideos von vor wenigen Tagen beruhigten mich auch nicht sonderlich. Ich verabscheute die Mannschaftswagen der Bundespolizei, den ganzen Aufwand, mit dem die unmittelbar an die Theresienwiese angrenzenden Straßen abgeriegelt waren. Ich glaubte nicht an den Terrorismus, obwohl ich selbst schon sein Opfer gewesen war. Genervt ließ ich die Taschenkontrolle am Eingang über mich ergehen. Dass Nero und seine Kollegen mitten in der Woche Zeit hatten, das Oktoberfest
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher