Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halo

Halo

Titel: Halo
Autoren: Alexandra Adornetto
Vom Netzwerk:
seltsam, die Erde zusammen mit Ivy und Gabriel zu besuchen. Wohin auch immer wir gingen, zogen die beiden sehr viel Aufmerksamkeit auf sich. Gabriel wirkte wie eine zum Leben erweckte griechische Statue. Sein Körper war perfekt proportioniert, und jeder einzelne Muskel sah aus wie aus echtem Marmor gehauen. Seine schulterlangen, sandfarbenen Haare trug er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er hatte dichte Augenbrauen und eine pfeilgerade Nase. Heute trug er ausgewaschene Jeans, die an den Knien aufgerissen waren, und ein zerknittertes Baumwollhemd, was ihm beides eine leicht zerzauste Schönheit verlieh. Gabriel war ein Erzengel und Mitglied der Heiligen Sieben. Auch wenn seine Zunft in der göttlichen Hierarchie nur an zweiter Stelle stand, war sie sehr exklusiv und pflegte den engsten Kontakt zu den Menschen. Genau genommen war sie geschaffen worden, um zwischen Gott und den Sterblichen zu vermitteln. Aber in seinem Herzen war Gabriel ein Krieger – sein himmlischer Name bedeutete «Held Gottes», und er war es gewesen, der mit angesehen hatte, wie Sodom und Gomorrha niederbrannten.
    Ivy hingegen gehörte zu den Weisesten und Ältesten unserer Art, auch wenn sie nicht einen Tag älter aussah als zwanzig. Sie war ein Seraph und damit Mitglied der Engelszunft, die Gott am nächsten stand. Im Königreich hatten Seraphim sechs Flügel, welche die sechs Tage der Schöpfung symbolisierten. Als Zeichen ihres Ranges war eine goldene Schlange auf Ivys Handgelenk tätowiert. Es hieß, dass die Seraphim im Kampf Feuer auf die Erde spien, aber Ivy war eins der zartesten Wesen, dem ich je begegnet war. In ihrer irdischen Gestalt sah sie mit ihrem Schwanenhals und ihrem blassen ovalen Gesicht aus wie die Wiedergeburt der Mutter Gottes. Wie Gabriel hatte auch sie durchdringende graue Augen. An diesem Morgen trug sie ein weißes weites Kleid und goldene Sandalen.
    Ich hingegen war gar nichts Besonderes, ich gehörte zu den Übergangsengeln und stand damit auf der Leiter ganz unten. Es war mir egal, denn Übergangsengel zu sein bedeutete, mit den menschlichen Seelen, die das Königreich betraten, in Kontakt zu treten. In meiner irdischen Gestalt sah ich genauso ätherisch aus wie der Rest der Familie, davon abgesehen, dass meine Augen so braun waren wie Haselnüsse und mir kastanienbraunes Haar in luftigen Wellen den Rücken hinabfiel. Ich hatte immer gedacht, dass ich mir, wenn ich einmal für eine Aufgabe auf der Erde ausgesucht werden würde, meine körperliche Gestalt selber aussuchen konnte, aber so war es nicht. Ich war schlank, feingliedrig und nicht besonders groß geschaffen, mit einem herzförmigen Gesicht, koboldartigen Ohren und milchig blasser Haut. Wann immer ich einen flüchtigen Blick auf mein Spiegelbild erhaschte, sah ich darin ein Verlangen, das in den Gesichtern meiner Geschwister fehlte. Selbst wenn ich es versuchte, konnte ich nicht so gelassen dreinblicken wie Gabriel und Ivy. Ihr entspannter Gesichtsausdruck veränderte sich fast nie, ungeachtet der Dramen, die sich um sie herum abspielten. In meinem Gesicht fand sich hingegen immer ein Ausdruck von suchender Neugierde, egal wie abgeklärt ich zu wirken versuchte.
    Ivy schritt mit ihrem Teller in der Hand zur Spüle, was wie gewöhnlich so aussah, als ob sie tanzte. Sowohl mein Bruder als auch meine Schwester bewegten sich mühelos, mit einer natürlichen Eleganz, die ich nicht nachahmen konnte. Mehr als einmal war mir vorgeworfen worden, durch das Haus zu stampfen und ungeschickt zu sein.
    Nachdem sie sich ihres halb aufgegessenen Toasts entledigt hatte, machte es sich Ivy mit der aufgeschlagenen Zeitung auf dem Sessel neben dem Fenster bequem.
    «Was gibt’s Neues?», fragte ich.
    Als Antwort hielt sie mir die Titelseite hin. Ich las die Schlagzeilen: Bomben, Naturkatastrophen und wirtschaftlicher Kollaps. Ich fühlte mich sofort ganz klein.
    «Ist es denn ein Wunder, dass die Menschen sich nicht sicher fühlen?», fragte Ivy seufzend. «Sie haben kein Vertrauen zueinander.»
    «Aber was können wir denn dann für sie tun?», fragte ich zögernd.
    «Wir dürfen nicht zu schnell zu viel erwarten», sagte Gabriel. «Veränderungen brauchen Zeit.»
    «Außerdem brauchen wir nicht die ganze Welt zu retten», sagte Ivy. «Wir sollten uns auf unseren kleinen Teil davon konzentrieren.»
    «Du meinst diese Stadt?»
    «Natürlich.» Meine Schwester nickte. «Diese Stadt war als Angriffsziel der finsteren Mächte gelistet. Die Auswahl der Orte ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher