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Halo

Halo

Titel: Halo
Autoren: Alexandra Adornetto
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ich mir noch fast im Halbschlaf den Zeh ungeschickt am Kühlschrank anstieß. Der Schmerz, der mich durchzuckte, zeigte mir nur, dass ich existierte und fühlen konnte.
    «Guten Nachmittag, Bethany», neckte mich mein Bruder und reichte mir eine Tasse dampfenden Tee. Ich hielt die Tasse eine Sekunde zu lange fest und verbrannte mir die Finger, bevor ich sie abstellte. Gabriel bemerkte mein Zucken und runzelte die Stirn. Ich wurde daran erinnert, dass ich anders als meine Geschwister gegen Schmerz nicht immun war.
    Mein Körper war genauso verletzlich wie der eines Menschen, abgesehen davon, dass ich kleine Verletzungen wie Schnitte und Knochenbrüche selbst heilen konnte. Dies war eine der Sorgen, die Gabriel hatte, als man mich für die Mission ausgewählt hatte. Ich wusste, dass er mich für zu verletzlich hielt und fand, dass die ganze Sache für mich zu gefährlich werden könnte. Ich war auserwählt worden, weil ich mehr Gespür für die Menschen hatte als andere Engel – ich wachte über sie, fühlte mit ihnen und versuchte, sie zu verstehen. Ich hatte Vertrauen in die Menschen und weinte Tränen um sie. Vielleicht lag das daran, dass ich jung war – ich war erst vor siebzehn sterblichen Jahren geschaffen worden, was in himmlischer Zeitrechnung der Kindheit entsprach. Gabriel und Ivy existierten schon Hunderte von Jahren; sie hatten in mehr Schlachten gekämpft und mehr menschliche Gräueltaten gesehen, als ich mir vorstellen konnte. Sie hatten alle Zeit der Welt gehabt, die Stärke und Kraft zu entwickeln, die sie brauchten, um auf der Erde geschützt zu sein. Durch ihre zahllosen Missionen zu den Menschen hatten sie Zeit gehabt, sich auf die Erde einzustellen, waren sich aller Tücken und Gefahren bewusst. Aber ich war ein Engel in seiner reinsten, verletzlichsten Form. Ich war naiv und gutgläubig, jung und zerbrechlich. Ich konnte Schmerz spüren, weil mich keine Jahre der Weisheit und der Erfahrung davor schützten. Genau aus diesem Grund wünschte sich Gabriel, ich wäre nicht auserwählt worden, und genau aus diesem Grund war ich es.
    Die endgültige Entscheidung hatte nicht er zu treffen gehabt, sondern jemand anderes – jemand, der so allgewaltig war, dass Gabriel es nicht wagte, sich aufzulehnen. Er musste sich damit abfinden, dass es einen göttlichen Grund für meine Wahl geben musste, der außerhalb seiner Vorstellungskraft lag.
    Ich nippte vorsichtig an meinem Tee und lächelte meinen Bruder an. Sein Gesichtsausdruck hellte sich auf. Er griff nach einer Packung mit Frühstücksflocken und studierte das Etikett.
    «Was willst du – Toast oder etwas namens Honig-Getreide- Flocken?»
    «Keine Flocken», sagte ich und rümpfte die Nase in Richtung der Packung.
    Ivy saß am Tisch und bestrich lustlos einen Toast mit Butter. Meine Schwester versuchte immer noch, Geschmack am Essen zu finden. Ich sah ihr zu, wie sie den Toast in kleine Quadrate schnitt, die sie ordentlich auf ihrem Teller anrichtete und dann wieder zusammenschob wie ein Puzzle. Ich setzte mich neben sie und atmete den berauschenden Duft nach Freesien ein, der stets die Luft um sie herum zu erfüllen schien.
    «Du siehst ein bisschen blass aus», stellte sie in ihrer üblichen ruhigen Art fest und musterte mich, während sie eine Strähne ihres weißblonden Haares zurückschob, die ihr vor die regengrauen Augen gefallen war. Ivy war die selbsternannte Mutterglucke unserer kleinen Familie geworden.
    «Es ist nichts», antwortete ich leichthin und zögerte, bevor ich hinzufügte: «Nur schlecht geträumt.» Ich sah, wie sie beide innehielten und besorgte Blicke wechselten.
    «Das würde ich nicht gerade nichts nennen», sagte Ivy. «Du weißt, dass wir eigentlich nicht träumen.» Gabriel verließ seinen Posten am Fenster, um mein Gesicht besser betrachten zu können, und hob mein Kinn mit der Fingerspitze an. Seine Stirn lag wieder in Falten, und sein ernstes, makelloses Gesicht hatte sich verdüstert.
    «Sei vorsichtig, Bethany», riet er mir mit seiner inzwischen vertrauten Stimme des älteren Bruders. «Versuch nicht, dich an Körperliches zu gewöhnen. Auch wenn das alles aufregend für dich ist, vergiss nie, dass wir nur Gäste sind. All dies ist nur vorübergehend, und früher oder später müssen wir zurück …» Er stoppte, als er meinen verzweifelten Blick bemerkte. Schließlich sprach er in leichterem Tonfall weiter. «Allerdings wird bis dahin noch viel Zeit vergehen, wir können das also später ausdiskutieren.»
    Es war
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