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Halo

Halo

Titel: Halo
Autoren: Alexandra Adornetto
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das dauern?» Ich zuckte zusammen, als der schrille Schrei einer Möwe über mir ertönte. Ich hörte meine eigene Stimme, die so melodisch klang wie Flötenspiel.
    «Nicht lange», antwortete Gabriel. «Es geht leichter, wenn du dich nicht dagegen wehrst.»
    Die Byron Street verlief bergauf und erreichte den Gipfel. Und dort, an ihrem höchsten Punkt, stand unser neues Haus. Ivy war sofort verzaubert.
    «Oh, seht doch!» Sie klatschte entzückt in die Hände. «Es hat sogar einen Namen!» Das Haus war nach der Straße benannt, auf einem Kupferschild stand in eleganter Schrift BYRON . Wir fanden später heraus, dass die benachbarten Straßen nach anderen englischen Dichtern der Romantik hießen: Keats Grove, Coleridge Street, Blake Avenue. Haus Byron sollte während unserer Zeit auf der Erde sowohl unser Heim als auch unser Zufluchtsort sein. Es war ein altes Haus aus mit Efeu bewachsenem Sandstein, ein Stück von der Straße zurückgesetzt, hinter einem schmiedeeisernen Zaun mit Flügeltor, und es hatte eine ehrwürdige, klassisch anmutende Fassade. Ein Kiesweg führte zur Haustür, von der die Farbe abblätterte. Den Vorgarten überragte eine stattliche Ulme in einem Meer aus wilden Blumen. Seitlich am Zaun wuchsen unzählige Hortensien, deren pastellfarbene Köpfe in der morgendlichen Kälte zitterten. Ich mochte das Haus – es sah aus, als wäre es gebaut, um allem Ungemach zu trotzen.
    «Bethany, gib mir den Schlüssel», sagte Gabriel. Auf den Hausschlüssel aufzupassen war die einzige Aufgabe, mit der man mich betraut hatte. Ich wühlte in den tiefen Taschen meines Kleides.
    «Er muss hier irgendwo sein», versicherte ich ihm.
    «Bitte, sag nicht, dass du ihn schon verloren hast.»
    «Wir sind immerhin gerade vom Himmel gefallen», sagte ich entrüstet. «Dabei kann schon mal etwas verlorengehen.»
    Ivy fing an zu lachen. «Du trägst ihn um den Hals.»
    Ich atmete erleichtert auf. Dann nahm ich die Kette ab und gab sie Gabriel. Als wir den Hausflur betraten, sahen wir, dass keine Mühen gescheut worden waren, um alles für uns vorzubereiten. Unsere Vorhut, die Göttlichen Gesandten, hatten auf jede Kleinigkeit geachtet und peinlich genau gearbeitet.
    Das ganze Haus wirkte hell. Es hatte hohe Decken und lichte Räume. Vom Flur aus ging nach links ein Musikzimmer ab und nach rechts das Wohnzimmer. Dahinter öffnete sich hinter einem Arbeitszimmer ein gepflasterter Hof. An der Rückseite des Hauses lag ein Anbau, der modernisiert und zu einer großen Küche aus Marmor und Stahl umgebaut worden war. Sie ging in einen großen Raum mit Orientteppichen und bequemen Sofas über. Schiebetüren öffneten sich zu einer weitläufigen Holzterrasse. Im oberen Stockwerk lagen die Schlafzimmer und ein großes Badezimmer mit Marmorwaschtischen und einer im Boden eingelassenen Badewanne. Als wir durch das Haus gingen, knarrte der Holzfußboden, als hieße er uns willkommen. Es begann leicht zu regnen, und das Prasseln der Tropfen auf dem Schieferdach klang, als spielte jemand eine Melodie auf dem Klavier.
     
    In den ersten Wochen schliefen wir viel und versuchten uns einzuleben. Wir blieben unter uns und warteten geduldig ab, dass wir langsam eins mit uns selbst wurden. Außerdem vertieften wir uns in die Rituale des täglichen Lebens. Es gab so viel zu lernen, und das war natürlich nicht einfach. Schon wenn wir nur einen Schritt machten, waren wir überrascht, festen Boden unter den Füßen zu spüren. Wir wussten, dass alles auf der Erde aus Materie bestand, die durch einen komplexen molekularen Code verknüpft war und so die verschiedenen Stoffe, Gegenstände und Lebewesen bildete: Luft, Stein, Holz, Tiere. Aber das leibhaftig zu erfahren war etwas ganz anderes. Überall umgaben uns Hemmnisse, denen wir ausweichen mussten. Wir versuchten, dabei das unangenehme Gefühl von Klaustrophobie zu unterdrücken. Jedes Mal, wenn ich einen Gegenstand aufhob, hielt ich inne und bestaunte seine Funktion. Das Leben der Menschen war so kompliziert: Sie hatten Gegenstände, mit denen sie Wasser kochten, Steckdosen, die elektrischen Strom leiteten, und verschiedene Utensilien in der Küche und im Bad, die dazu dienten, Zeit zu sparen und das Leben komfortabler zu machen. Alles hatte seine eigene Struktur, seinen eigenen Geruch – es war wie ein Fest der Sinne. Ich wusste, dass Ivy und Gabriel am liebsten alles ausgeblendet hätten und zur glückseligen Ruhe zurückgekehrt wären, aber ich genoss jeden Moment, auch wenn es
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