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Halo

Halo

Titel: Halo
Autoren: Alexandra Adornetto
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Bewohnerin Gedanken gemacht. Mit seinen weißen Möbeln, dem gusseisernen Bett und der Röschentapete hatte es einen mädchenhaften Charme. Die Schubladen der weißen Frisierkommode waren mit einem Blütenmuster verziert, und in der Ecke stand ein weißer Schaukelstuhl aus Rattan. Ein eleganter Tisch mit gedrechselten Beinen lehnte dem Bett gegenüber an der Wand.
    Ich streckte mich und fühlte das zerknitterte Laken auf meiner Haut, was für mich immer noch völlig ungewohnt war. Dort, wo wir herkamen, gab es kein Gewebe, keine Dinge; es gab nichts als das unermesslich große Weiß, das sich unendlich weit vor uns ausbreitete. Wir brauchten nichts Körperliches, und so gab es auch nichts. Der Himmel ließ sich nicht leicht beschreiben. Manche Menschen erhaschten vielleicht manchmal einen Blick, speicherten ihn irgendwo in den Tiefen ihres Unterbewusstseins ab und fragten sich für einen kurzen Moment, was das alles zu bedeuten hatte. Unser Heim war eine unendliche weiße Fläche, eine unsichtbare Stadt, in der nichts Tastbares zu sehen war und die trotzdem schöner war, als man es sich vorstellen kann. Ein Firmament wie flüssiges Gold und rosa Quarz, ein Gefühl von Leichtigkeit, von Schwerelosigkeit, scheinbar leer, aber trotzdem majestätischer als der großartigste Platz auf der Erde. Das war die beste Beschreibung, die ich für etwas so Unglaubliches wie mein früheres Zuhause hatte. Ich war nicht allzu beeindruckt von der menschlichen Sprache, sie schien mir lächerlich begrenzt. Es gab so vieles, was man nicht in Worte fassen konnte. Das war das Traurigste an den Menschen – ihre wichtigsten Gedanken und Gefühle blieben oft unausgesprochen und wurden kaum verstanden.
    Eins der frustrierendsten Wörter der menschlichen Sprache war, soweit ich es beurteilen konnte, Liebe. In diesem kleinen Wort steckte so viel. Die Menschen gingen sehr freigebig damit um, verwendeten es, um ihre Verbundenheit mit Dingen, Tieren, Urlaubszielen und Leibspeisen zu beschreiben. Im gleichen Atemzug gebrauchten sie es dann für die Person, die für sie das Allerwichtigste auf der Welt war. War das keine Beleidigung? Sollte es nicht noch eine andere Möglichkeit geben, tiefere Gefühle zu beschreiben? Liebe war für die Menschen etwas so Wichtiges. Sie wünschten sich alle inständig, sich mit jemandem zu vereinigen, den sie als ihre «zweite Hälfte» betrachten konnten. Von dem, was ich aus der Literatur gelernt hatte, schien Verliebtsein zu bedeuten, dass man für den Geliebten die ganze Welt war. Der Rest des Universums wurde im Vergleich zu den Liebenden bedeutungslos. Wenn sie getrennt wurden, verfielen beide in einen melancholischen Zustand, und erst wenn sie wieder vereint waren, begann ihr Herz erneut zu schlagen. Nur gemeinsam konnten sie wirklich sehen, wie bunt die Welt war. Waren sie getrennt, verblassten die Farben, ließen alles in einem undeutlichen Grau zurück. Ich lag im Bett und grübelte über die Intensität dieses Gefühls nach, das so irrational war und so eindeutig menschlich. Was, wenn das Gesicht des anderen so heilig wurde, dass es einem dauerhaft ins Gedächtnis gebrannt war? Was, wenn sein Geruch und seine Berührungen wertvoller wurden als das eigene Leben? Natürlich wusste ich nichts über die menschliche Liebe, aber die Vorstellung hatte mich schon immer fasziniert. Himmlische Wesen gaben niemals vor, die Intensität menschlicher Beziehungen zu begreifen, aber ich fand es erstaunlich, dass Menschen einer anderen Person zugestanden, Gewalt über ihr Herz und ihre Seele zu bekommen. Es war paradox, wie die Liebe sie zwar für die Wunder des Universums empfänglich machen konnte, sie aber gleichzeitig nur Augen füreinander hatten.
    Die Geräusche, die meine Geschwister in der Küche unten machten, rissen mich aus meinen Träumereien, und ich stieg aus dem Bett. Was spielte meine Grübelei schon für eine Rolle? Uns Engeln blieb die menschliche Liebe ohnehin verwehrt.
    Ich legte mir einen Kaschmir-Überwurf um, um nicht zu frieren, und stieg barfuß die Treppe hinunter. In der Küche empfing mich der einladende Duft von Toast und frischem Tee. Ich war froh, dass ich mich langsam an das Leben der Menschen gewöhnte – vor ein paar Wochen hätte ich von diesen Gerüchen Kopfschmerzen bekommen, oder mir wäre übel geworden. Jetzt aber begann ich, Gefallen daran zu finden. Ich krümmte die Zehen und genoss das Gefühl der glatten Holzdielen unter meinen Füßen. Es machte mir nicht einmal etwas aus, als
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