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Katrin Sandmann 01 - Schattenriss

Katrin Sandmann 01 - Schattenriss

Titel: Katrin Sandmann 01 - Schattenriss
Autoren: Sabine Klewe
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    Grabsteine strahlen immer eine solche Beschaulichkeit aus. Katrin betrachtete die Schwarzweißabzüge, die sie gerade fixiert, gewässert und zum Trocknen aufgehängt hatte. Sie war am Vorabend auf dem Südfriedhof gewesen. Das ganze Wochenende lang hatte es geregnet, aber gestern, am Montag, war es dann endlich trocken geblieben, und nachmittags kam sogar ein wenig die Sonne heraus. Der immer noch drohend dunkle Himmel mit den schweren Wolken und das fahle Abendlicht hatten für eine stimmungsvolle Atmosphäre gesorgt.
    Katrin schritt langsam die Reihe Fotos ab. Mit kritischem Blick begutachtete sie ihre Arbeit. Schmale Wege, säuberlich gepflegte Blumenbeete und hohe, alte Bäume. Die tief stehende Sonne bewirkte, dass die blassen Schatten der Steine wie transparente Leichentücher über den Gräbern lagen. Ein Bild war ein wenig kitschig, ein einzelnes steinernes Kreuz im Sonnenlicht, daneben ein verwilderter Rosenbusch, üppig blühend. Das würden sie mit Sicherheit wählen. Fremde suchten oft gerade die Fotos aus, die Katrin eigentlich ein wenig zu überladen fand.
    Ihr selbst gefiel ein anderes Bild besonders gut. Sie hatte es ganz zum Schluss noch aufgenommen, wenige Minuten bevor der Friedhof schloss. Sie hatte Fotoapparat und Stativ bereits wieder in der Tasche verstaut und war auf dem Weg zum Ausgang, als ihr dieses besonders schöne Motiv ins Auge stach. Also hatte sie die Kamera noch einmal herausgekramt und sich auf den Rasen gekniet, um die richtige Perspektive zu erhalten. Ihr linkes Knie war im regennassen Gras feucht und schmutzig geworden. Aber es hatte sich gelohnt. Die Aufnahme war wunderschön. Eine Reihe etwas älterer, grauer Grabsteine, dahinter eine Gruppe windschiefer, junger Birken. Auf dem vordersten Stein befand sich zuoberst eine kleine Figur. Sie stand etwas seitlich verdreht, war offensichtlich schon einmal heruntergefallen und ohne große Sorgfalt wieder hingestellt worden. Es handelte sich um einen Engel, die Hände zum Gebet gefaltet, von dessen linken Flügel ein Stück abgebrochen war. Sie hatte eine Gegenlichtaufnahme gemacht, und die Sonne strahlte die Statue von hinten an, sodass es aussah, als wäre sie von einer Aura aus Licht, einem bleichen, hauchdünnen Heiligenschein umgeben.
    Katrin knipste die Lampe aus und ging in die Küche. Sie hatte noch nicht gefrühstückt. Jetzt schüttete sie eine Portion Müsli in eine Glasschüssel, gab Milch dazu und stellte sie auf den Tisch. Rupert strich laut schnurrend um ihre Beine und sah sie mit großen, bettelnden Augen an. Sie musterte den Kater mit strengem Blick, danach kramte sie seufzend ein zweites Schälchen aus dem Schrank und füllte es mit Trockenfutter aus einem Pappkarton. „Hier, du alter Bettler. Du tust gerade so, als hättest du heute noch nichts gehabt.“
    Sie hockte sich auf den Boden und strich ihm sanft über das orangebraune Fell. Dann goss sie sich einen Becher Kaffee ein. Bevor sie sich an den Tisch setzte, schaltete sie den kleinen Fernseher auf der Arbeitsplatte an.
    Es lief gerade eine Zeichentrickserie für Kinder. Danach begannen die Regionalnachrichten. Katrin hörte kaum zu. Sie überlegte, was sie heute alles zu erledigen hatte. Sie musste den Verlag wegen des Kalenders anrufen, die Rechnung für den Auftrag von letzter Woche schreiben, und dann konnte sie am Nachmittag ihrer Mutter die Abzüge vom Friedhof vorbeibringen.
    Lauter lästiger Kleinkram. Nicht das, wovon sie geträumt hatte, als sie beschloss, Fotografin zu werden. Sie hatte sich ausgemalt zu reisen, die Welt mit ihrer Kamera zu entdecken und für spannende Bildbände exotische Länder zu erforschen. Sie hatte sich auf Safaris in Zentralafrika gesehen, in der beschaulichen Stille eines indonesischen Tempels oder in den winkeligen Gassen einer pulsierenden Metropole. Vielleicht würde man ihre besten Aufnahmen sogar irgendwo ausstellen und sie würde Preise dafür bekommen. Aber aus ihren Träumen war nichts geworden, zumindest bisher nicht. Stattdessen saß sie in Düsseldorf fest, knipste Kalenderbilder oder Hochzeiten und ergatterte hin und wieder mal einen Auftrag von einer Zeitschrift.
    Rupert sprang auf den Tisch. Er hatte sein Schälchen bereits geleert und jetzt schlich er laut schnurrend um Katrins Müsli. Sie griff nach dem Kater und platzierte ihn energisch auf dem Boden.
    „Du weißt genau, dass du hier oben nichts zu suchen hast. Und lass das Theater. Mehr gibt es nicht.“
    Rupert äugte vorwurfsvoll zu ihr hoch, während
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