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Halo

Halo

Titel: Halo
Autoren: Alexandra Adornetto
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gefestigter als meiner. Man hätte sie auch Eiskönig und Eiskönigin nennen können. Nichts regte sie auf, nichts beunruhigte sie, und am allerwichtigsten: Nichts betrübte sie. Sie waren wie Schauspieler, die ihre Rollen gut gelernt hatten und denen die Sätze mühelos über die Lippen kamen. Ich hingegen hatte mich von Anfang an abmühen müssen. Aus irgendeinem Grund hatte es mich ziemlich überwältigt, Mensch zu werden. Ich war nicht darauf vorbereitet gewesen, wie intensiv diese Erfahrung war, wie unmittelbar der Übergang von seliger Leere zu einer Achterbahn der Sinne. Manchmal tobten die Gefühle durcheinander und flogen herum wie Sand im Wind, sodass das Ergebnis völlige Verwirrung war. Ich wusste, dass ich mich von allem, was Gefühle betraf, fernhalten sollte. Aber ich hatte noch nicht herausgefunden, wie das gehen sollte. Es war mir ein Rätsel, wie normale Menschen ihr Leben in den Griff bekamen, wenn unter ihrer Oberfläche ständig ein solcher Aufruhr brodelte – es musste erschöpfend sein. Ich versuchte, meine Schwierigkeiten vor Gabriel zu verbergen; ich wollte nicht, dass er recht bekam oder weniger von mir hielt, weil ich so mit mir rang. Falls meine Geschwister je etwas Ähnliches durchmachten, waren sie Experten darin, es zu verheimlichen.
     
    Ivy schlug vor, meine Schuluniform bereitzulegen und für Gabriel ein sauberes Hemd und eine Hose herauszusuchen. Als Lehrer wurde von Gabriel erwartet, dass er Hemd und Krawatte trug, eine Vorstellung, die ihm überhaupt nicht behagte. Normalerweise trug er Jeans und kragenlose Sweatshirts. Alles, was zu eng anlag, gab uns das Gefühl, eingeschnürt zu sein, Kleidung im Allgemeinen war für uns das reinste Gefängnis. Darum litt ich mit Gabriel, als er wieder nach unten kam und sich in dem frischen Hemd schüttelte, das seine breite Brust verhüllte, und so lange an seiner Krawatte herumzog, bis er endlich den Knoten gelockert hatte.
    Die Kleidung war nicht der einzige Unterschied, wir mussten auch die Reinigungsrituale erlernen: duschen, Zähne putzen und Haare kämmen. Im Königreich hatten wir uns über solche Dinge nie den Kopf zerbrechen müssen, das Dasein bedurfte dort keiner Pflege. Wenn man als körperliches Wesen existierte, musste man sich so viel mehr merken.
    «Bist du sicher, dass es eine Kleidervorschrift für Lehrer gibt?», fragte Gabriel.
    «So gut wie, aber auch wenn ich mich irre – möchtest du an deinem ersten Tag gleich ein Risiko eingehen?»
    «Was war denn an dem, was ich anhatte, nicht in Ordnung?», grummelte Gabriel und krempelte seine Ärmel hoch in dem Versuch, seine Arme zu befreien. «Das war zumindest bequem.»
    Ivy schnalzte mit der Zunge und drehte sich zu mir um, um zu überprüfen, ob ich meine Uniform richtig angezogen hatte.
    Zugegeben, für eine Uniform sah sie ziemlich schick aus: ein Kleid in lieblichem Hellblau mit rundem Kragen, das vorne Falten warf. Außer dem Kleid wurde erwartet, dass wir baumwollene Kniestrümpfe, braune Slipper und einen marineblauen Blazer mit dem Schulwappen in Gold auf der Brusttasche trugen. Ivy hatte hellblaue und weiße Schleifenbänder für mich gekauft, die sie mir jetzt geschickt in die Zöpfe flocht.
    «So», sagte sie mit zufriedenem Lächeln. «Von der himmlischen Botschafterin zum bodenständigen Schulmädchen.»
    Ich wünschte, sie hätte nicht das Wort Botschafterin verwendet – das machte mich nur nervös. Es wog so schwer, trug so viele Erwartungen. Und zwar nicht solche Erwartungen, wie Menschen sie an ihre Kinder stellten: Zimmer aufräumen, auf die Geschwister aufpassen oder Hausaufgaben machen. Es waren Erwartungen, die um jeden Preis erfüllt werden mussten, und wenn nicht, dann … Tja, ich wusste nicht, was passieren würde, wenn nicht. Meine Knie fühlten sich an, als würden sie im nächsten Moment unter mir nachgeben.
    «Ich weiß nicht so recht, Gabriel», sagte ich, auch wenn mir klar war, wie sprunghaft ich wirken musste. «Was, wenn ich noch nicht so weit bin?»
    «Es ist nicht unsere Entscheidung», antwortete Gabriel mit absoluter Gemütsruhe. «Wir erfüllen nur einen Zweck: unserem Schöpfer gehorsam zu sein.»
    «Das möchte ich ja auch, aber es ist eine Highschool. Es ist eine ganz andere Sache, das Leben vom Spielfeldrand aus zu beobachten. Aber jetzt werden wir mitten hinein geworfen!»
    «Das ist genau der Punkt», sagte Gabriel. «Wir können nicht erwarten, dass wir vom Rand aus irgendetwas ändern können.»
    «Aber was, wenn etwas
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