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Halloween

Halloween

Titel: Halloween
Autoren: Stewart O'Nan
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ein schwaches Schimmern durch die Bäume, als würde gerade der Mond aufgehen. Travis dreht sich um, versucht, die Lichtquelle zu entdecken, und sieht, wie sich das Licht in der Ferne hinter einer Anhöhe sammelt.
    «Auto», ruft er, und sie verschwinden im Wald, stürmen mitrappelndem Rucksack die Böschung rauf und durch die matschigen Blätter. Er geht hinter dem erstbesten Baum in Deckung, hält sich an der rauen Rinde fest und drückt sich dagegen. Greg umklammert den Baum daneben. Sie sind beide klatschnass und frösteln. Sie sehen sich an, als würde ihnen das Ganze Spaß machen.
    Zuerst kommt nur ein Scheinwerfer in Sicht, als hätte der Wagen Schlagseite. Die Schnauze taucht ab, und der Wagen gleitet bergab, und zwischen den Baumstämmen hindurch sieht Travis den Lichtschein vorn und hinten – von allen vier Ecken. Das Pfeifen der Reifen wird lauter, dann auch das Motorengeräusch. Sie haben sich gerade erst durch dieselben Kurven zur Brücke runter und dann wieder bergauf geschleppt und sich dabei total verausgabt; der Wagen braucht für die Strecke bloß eine Minute. Die Schatten huschen umher und verdoppeln sich, jagen sich zwischen den Bäumen hindurch, und die beiden müssen sich wegdrehen, um nicht entdeckt zu werden. Als das Auto unten vorbeifährt, laut wie ein Düsenflugzeug, erkennt Travis an dem ausgeschalteten Blaulicht und dem reflektierenden Streifen an der Tür, dass es ein Streifenwagen ist. Er kann das Nummernschild nicht entziffern (AV 36, unsere Glückszahl), aber er weiß, wer es ist.
    «Mann», sagt er, als sie wieder allein sind, «da haben wir aber Schwein gehabt.»
     
    Das Dunkin’ Donuts ist geschlossen. Ohne Grund, es ist einfach zu. (Mr. Arnold ist nicht da, sagt Danielle, das ist der Grund. Die Kerle haben früher Schluss gemacht.) Drinnen, im Halbdunkel, ergießt sich in einer durchsichtigen Maschine ein ewiger Wasserfall aus Orangensaft. Tim schaut auf die Uhr im Armaturenbrett, als könnte er an der Ampel eine Viertelstunde verloren haben. Es ist die richtige Uhrzeit, der Laden dürfte erst in zehn Minuten schließen. Der Plan schießt ihm durch den Kopf, unverständlich, aber nichts zu machen. So weit ist er gekommen. War’s das? Es ist, als würde ihm jemand einen Streich spielen. Er hat Kyle nebensich sitzen und weiß nicht, was er tun soll. (Inzwischen sitzen wir alle bei ihm im Wagen, Danielle hinter ihm, der echte Kyle in Kyles Körper, was uns nervös macht.)
    Er fühlt sich den Blicken ausgesetzt, der einzige Wagen auf dem Parkplatz, aber er denkt, dass er noch mehr Aufmerksamkeit erregen würde, wenn er versuchte, sich hinter dem Autoschalter zu verstecken. Dann müsste Brooks ihn bloß einkeilen, und es wäre vorbei. Er hat Angst, dass ein Teil von ihm genau das will, wieder gerettet werden, vor seinen Gefühlen bewahrt. Sie würden versuchen, ihn wie Kyles Mom mit Medikamenten voll zu pumpen, ihn in einen Zombie zu verwandeln.
    Wie immer, wenn er nicht weiterweiß, wendet er sich an uns. Er schnallt sich ab und beugt sich über die beiden Kyles, öffnet das Handschuhfach und holt den Stapel Fotos raus, Danielle ganz oben. Er lässt die Tür offen, um Licht zu haben, hält die Bilder schräg, damit es ihn nicht blendet. Kyle beobachtet ihn mit leeren Händen, und Tim fällt das Snickers ein.
    «Danke, Tim», sagt Kyle.
    Da ist sie, in ihrem roten Pullover im Bus.
    Da sitzen sie im Sessellift und halten in ihren Handschuhen die Daumen hoch. (Das Bild hat Mr. Kulwicki gemacht.)
    Hier ist eine Aufnahme von uns allen in Six Flags am Rocktoberfest, bekifft, die Arme um die Schultern gelegt, der echte Kyle in der Mitte. Danielle hält einen rosa Bausch Zuckerwatte in der Hand, und Tim weiß noch, wie er sie auf dem Skyride geküsst hat, wie er sich über die Leute lustig gemacht hat, die unter ihnen hergingen.
    Der lebendige Kyle neben ihm riecht nach Schokolade, den Blick geradeaus gerichtet, als würden sie fahren. Tim zeigt ihm das Foto – kein Zeichen des Wiedererkennens.
    «Weißt du, wer das ist?»
    Kyle kaut, während er grübelt, und legt dann den Finger auf das Bild. «Tim.»
    «Stimmt. Und wen kennst du sonst noch?»
    Er zermalmt das letzte Stück im Mund. Inzwischen läuft mein Song, Everclear:
I don’t believe you when you say, everything will be wonderful someday.
Tim hört nicht zu – er hat es schon tausendmal gehört. Er wartet darauf, dass Kyle bloß einen von uns beim Namen nennt, als ob sie das retten könnte.
    «Wer ist das?», fragt Tim und
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