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Halloween

Halloween

Titel: Halloween
Autoren: Stewart O'Nan
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abzuhauen. (Leck mich, sagt Toe.)
    Es ist zu spät, um den Fehler zu korrigieren, den Lauf der Geschichte zurückzudrehen. Vielleicht ist er hier, um sich zu entschuldigen oder wie Tim Tribut zu zollen. Wenn er die Verantwortung trägt – Melissa würde sagen, das stimmt nicht, aber sie ist nicht mehr da –, dann muss er es wieder gutmachen. (Er ist wahnsinnig.)
    «232», ruft die Zentrale – Ravitch hat wieder Nachtschicht.
    Ein Buick Kombi mit imitierter Holzverkleidung fährt vorbei.
    «232, bitte melden», drängt Ravitch, und die Buchstaben marschieren automatisch über den Bildschirm.
    Brooks klappt den Computer langsam zu, der Lichtschein im Plastikgehäuse gefangen.
    «232, würden Sie sich bitte melden?»
    Im Dunkeln färben die Armaturen seine Haut grünlich. Brooks blickt auf die Straße, aber das Funkgerät beansprucht wieder seine Aufmerksamkeit und ruft seinen Namen wie ein SOS. Er greift mit grüner Hand nach dem Knopf und dreht es aus.
     
    Sie sagt sich, dass sie noch fünf Minuten warten sollte, bevor sie anruft, ist aber nicht überzeugt. Es ist zu einfach; die Nummer steht in dem Verzeichnis direkt neben dem Telefon. Man kennt sie dort, Kyles übervorsorgliche Mutter, aber inzwischen müsste er längst zu Hause sein. Tim würde nirgends mit ihm hinfahren, nicht heute Nacht.
    Die Nachrichten haben sie verrückt gemacht, die üblichen Halloween-Horrorgeschichten aus dem ganzen Land, Wirklichkeit gewordene Schauermärchen: Rasierklingen in Äpfeln, Stecknadeln in Schokoriegeln, Kinder in schwarzen Katzenkostümen, die beim Überqueren der Straße überfahren wurden. Sie haben ein Video gezeigt, in dem die Ausbeute eines Kindes im Beisein der Eltern mit einem Röntgengerät durchleuchtet wird. Wie vorsichtig muss man sein? Aus Erfahrung weiß sie, dass man nicht alles unter Kontrolle haben kann. Sofort will die Phantasie mit ihr durchgehen, wie jede Nacht, und ihr das Schlimmste vor Augen führen, das passieren könnte, die Bäume und Telefonmasten, die die rutschigen Straßen säumen, seine zusammengenähte Haut, die wieder aufgerissen ist, der Polizist, der bereits unterwegs ist, um sie zu benachrichtigen.
    Sie schlägt die Wolldecke zurück und steht auf. (Kyle ist weg, sie ist ganz allein.) Es ist kalt im Haus, und das nimmt sie als Vorwand, um ins Wohnzimmer zu gehen und den Thermostat höher zu drehen. Sie geht zur Haustür, starrt durch das Fenster auf die Steinplatten, die Einfahrt und in die Dunkelheit dahinter und denkt, dass die fünf Minuten inzwischen verstrichen sein müssten.
    Vielleicht arbeiten sie länger, vielleicht ist es so einfach. Es könnte sein, dass sie hinten irgendetwas abladen.
    Sie braucht das Verzeichnis nicht; sie kennt die Nummer auswendig. Der Küchenfußboden ist kühl, und sie stellt sich auf den Flickenteppich am Spülbecken, lauscht dem Klingeln am anderen Ende der Leitung (bis auf Kyle haben wir uns alle um das Telefon in dem dunklen Büro versammelt). Zweimal, dreimal. Manchmal heben sie nicht sofort ab.
    Ein neues Klingeln setzt plötzlich ein, das heißt, dass sie auf einen Anrufbeantworter geschaltet worden ist. Er springt an und teilt ihr mit, dass sie mit dem Super Stop’n’Shop verbunden ist, nennt ihr die Öffnungszeiten und bittet sie, beim Piepton bitte eine Nachricht zu hinterlassen. Falls sie gern weitere Möglichkeiten hören würde – doch sie weiß, das sind Sackgassen.
    Der Piepton ertönt. Sie weiß nicht genau, ob sie eine Nachricht hinterlassen soll, hat Angst, dass sie jegliche Glaubwürdigkeit verlieren könnte. Sie will nicht als hysterisch gelten – ihre große Angst. Sie starrt auf die Uhr über dem Kühlschrank und findet, dass ihre Sorge berechtigt ist.
    «Hallo», sagt sie rasch und bemüht sich, normal zu klingen, «hier spricht Mrs. Sorenson. Ich weiß, dass Sie geschlossen haben, aber falls Kyle noch da sein sollte, würde ich es nett finden, wenn Sie mich kurz anrufen. Danke.»
    Ach, und dann wünscht sie, sie hätte Fröhliches Halloween gesagt.
    (Hinter der Einwegscheibe überblicken wir die Gänge und hören, wie sie auflegt. Das Band bleibt stehen und stellt sich klickend wieder ein. Die rote Zahl auf dem Anrufbeantworter blinkt. Ein Bildschirm zeigt, wie hinten beim Tierfutter ein heller Punkt raketengleich über den Fußboden zischt: eine Maus.
    Lauf, Mann, sagt Toe, und wir lachen beide.
    Das ist nicht richtig, sagt Danielle; ich sollte bei Tim sein. Und verschwindet.
    Toe sieht mich an und ich sehe ihn an, halb
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