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Halloween

Halloween

Titel: Halloween
Autoren: Stewart O'Nan
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er das Blaulicht aus und folgt ihm in sicherer Entfernung, misst an einem Telefonmast seine Reaktionszeit in Sekunden und hält genug Abstand. Tim braust die Gerade am Stub Pond entlang, und Brooks bleibt dran. Ringsum herrscht rabenschwarze Nacht, und er spürt, wie sich der Tunnelblick einer Verfolgungsjagd einstellt, sein Blickfeld verengt sich auf die beiden Punkte vor ihm, er ist auf sein Ziel konzentriert wie ein Jagdflieger. Er merkt, dass er mit zusammengepressten Lippen die Luft anhält, öffnet bewusst den Mund und atmet tief ein.
    Er wird den Jungen anhalten und mit ihm reden, sich entschuldigen, alles zugeben, was seine Anwälte angeblich nicht publik machen konnten – als würde das eine Rolle spielen. Brooks könnte ihm alles sagen, und doch würde es nichts ändern. Seine Kumpels und seine Freundin sind tot. Er ist wie alt, siebzehn?
    Vor ihm leuchten die Bremslichter auf, und der Wagen geht in die S-Kurve . Der Jeep hat einen zu hohen Schwerpunkt und liegt schlecht auf der Straße. Brooks kann nichts tun, als sie ganzscharf zu nehmen und seinen Vorteil auszunutzen. Er überlegt, ob er ihm den Weg abschneiden soll, ob er links neben ihn fahren und sich quer stellen soll, damit er nicht in die Old Farms Road biegen kann, aber Tim könnte versuchen, eine Vollbremsung zu machen, und sich dabei überschlagen. Brooks fragt sich, ob der Junge Angst hat oder, wie er, bereit ist, ihr gemeinsames Schicksal zu erfüllen. (Ich hab dir ja gesagt, der Typ ist hinüber. Damals ist er übergeschnappt; das sagen alle.)
    Sie überleben die Kurven und rasen am Revier vorbei, wo Ravitch ihn wahrscheinlich immer noch zu erreichen versucht. Sie brausen am Büropark vorbei und am Musikpavillon im Stadtpark, auf den orangen Lichtschein der Innenstadt, den weißen Kirchturm und die glänzenden Autoreihen von O’Neill’s zu. Hier könnte Brooks ihn kriegen, aber er hält sich zurück, bremst, als Tim bremst, um sich aufs Abbiegen vorzubereiten. Tim ist zu schnell, um die Kurve so eng anzufahren, das Heck des Jeeps schwenkt weit aus, und der Wagen droht sich zu drehen. Brooks umklammert mitfühlend das Lenkrad. Der Junge bremst – «Nein», sagt Brooks –, und der Jeep gerät ins Schleudern, neigt sich auf zwei Räder und rutscht unkontrolliert auf die Gegenfahrbahn, ehe er auf allen vieren landet, auf die rechte Straßenseite zurückkehrt und wieder losdüst.
    «Mein Gott», sagt Brooks kopfschüttelnd und gleitet sanft hinter ihm durch die Kurve. Er gibt Vollgas und versucht aufzuholen, muss dann aber scharf nach links ziehen, um jemandem auszuweichen, der aus der Ausfahrt auf der Rückseite von O’Neill’s geschossen kommt.
    Er entgeht der Motorhaube des anderen Wagens nur ganz knapp, vermeidet einen Zusammenstoß und sieht, jetzt hinter sich, wie ein Tahoe der Polizei Avon die Verfolgung aufnimmt. Der Tahoe schaltet das Blaulicht an, und wie ein Teenager tritt Brooks das Gaspedal durch.
     
    Tim ist ganz nah dran und immer noch unter Strom, weil er sich fast überschlagen hat, ihm dröhnt der Kopf. Er versteht nicht, warum Brooks es sich so bequem macht, und will ihn nicht mehr dahaben. Tim ist der Einzige, der sich an den Plan hält, aber es ist, als würde ihm das Ganze bloß zustoßen, als befände er sich in einem Albtraum von jemand anderem. Er will, dass dieser Albtraum aufhört, dass er aufwacht und wir am Leben sind.
    Die Arch Road fliegt vorbei, die Eisenbahnüberführung. Er bemüht sich, nicht nach hinten zu schauen, aber das Blaulicht ist nicht zu übersehen, der kreisende Lichtschein sieht aus wie ein Feuer, die Sirene heult seinetwegen. Die Tachonadel ist schon im roten Bereich, aber er hat das Gefühl, als würde er gar nicht vorwärts kommen. Rotondo Concrete erstreckt sich endlos neben ihm, vorgefertigte Klärbehälter und Abwasserrohre, in die ganz Avon scheißen kann, unter silbernen Lichtstrahlern aufgestapelt. Er denkt, dass es ihm wieder gut gehen wird, sobald er die letzte Straßenlaterne hinter sich lässt, aber als es so weit ist, findet er die Nacht nicht dunkel genug. Am liebsten würde er aussteigen, sich in den Wald und den Radweg entlang zu den Verstecken schleichen, die nur wir kennen. Am liebsten würde er nach Hause gehen.
    Er spürt, dass Brooks aufholt, und schneidet die unübersichtliche Kurve an den Towpath-Wohnblocks, fährt halb auf der Gegenfahrbahn.
    Danielles Song läuft, Natalie Merchant:
I may know the word, but not say it. I may know the truth, but not fay-hayce
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