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Halloween

Halloween

Titel: Halloween
Autoren: Stewart O'Nan
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(Ein weiterer Grund, warum wir den Kerl lieben: Keinen Augenblick lang hat er es innerlich geleugnet. Das ganze Jahr über hat es ihm das Herz zerrissen, hat ihn die Erinnerung nicht losgelassen, und glaub bloß nicht, dass wir das nicht zu schätzen wissen. Brooks, Mann, du bist der Hammer, egal, was die anderen sagen.)
    Aber keiner – weder der Chef noch Melissa oder Tim – weiß, dass er unseren Aufprall gesehen hat. Er stieß uns an und lenkte dann gegen, schoss vorbei, während wir um den Baum wirbelten, ein gespenstisches Karussell, das einzelne Teile verlor. Als er bremste, sah er, wie Danielle aus dem Wagen flog. Er hatte noch nie gesehen, wie jemand rausgeschleudert wurde, hatte bloß davon gelesen; er wusste, dass es vom Glück abhing, ob man so was überlebte oder dabei starb. Sie flog durch die Luft und stieß gegen einen anderen Baum, prallte schlaff zurück und landete auf dem Boden. Er hielt an, setzte zurück und rannte. Sie lag auf dem Rücken, und der obere Teil des Kopfes war weggerissen; sie war nicht mehr am Leben. Er dachte dauernd, dass
er
das getan hatte. Das hatte er angerichtet. Auf dem Rücksitz schrie irgendjemand, und als er sich in den Wagen beugte, roch es nach Blut. (O Geist!)
    Brooks muss die Vergangenheit ruhen lassen. Tim ist greifbar nah, er muss zwischen ihn und den Baum kommen. Er hat den besseren Wagen, er kennt die Straße; es ist, als hätte er sich ein Leben lang auf diesen Augenblick vorbereitet, unser ganz persönlicher Fliegender Holländer.
    Als sie über ein langes Flachstück brausen, drückt er auf die Tube und kommt ziemlich dicht ran, dann setzt er sich vor der Kurve wieder hinter ihn, und seine Scheinwerfer strahlen das Wrangler-Emblem auf dem Ersatzreifen an. Er will nicht, dass er ihm wie uns damals hinten drauffährt und ihn zur Seite stößt,also macht er einen weiten Bogen, schiebt sich vor und gibt Gas – nicht um ihn zu überholen, sondern um zu sehen, ob Tim rüberzieht und ihm den Weg versperrt, ein Anfängerfehler. Genau das tut er, und Brooks lässt sich ein Stück zurückfallen, lenkt dann scharf nach rechts, tritt das Gaspedal durch und versucht, ihn innen zu überholen. Er ist in Stellung gegangen, schiebt sich auf die Höhe des hinteren Kotflügels und dann zur Tür vor, zum Vorderrad. Als er glaubt, dass er es fast geschafft hat, zieht der Jeep rüber und rammt ihn.
    Der Vic schlingert und bricht hinten aus. Brooks reißt das Lenkrad nach links und dann, als sich das Gewicht verlagert, nach rechts, gibt Gas, um den Wagen gerade zu ziehen, und bemüht sich, ihn von den Blättern fern zu halten. Er hat Angst, der Jeep könnte stärker ins Schleudern geraten als er und nicht mehr zu halten sein, aber dann sieht er ihn vor sich, mitten auf der Straße, sieht, wie er davonfährt.
     
    Beim Klingeln des Telefons neben dem Kühlschrank bleibt ihr fast das Herz stehen. Sie ist am Apparat, bevor es zum zweiten Mal klingelt, doch dann ist niemand dran – ein Scherz oder ein obszöner Anruf.
    «Hallo?», sagt sie. «Hallo?»
    «Hallo», wiederholt Kyle.
    «Wo bist du? Ist Tim bei dir?» Er muss da sein; Kyle weiß nicht, wie man ein Telefon benutzt. «Kyle, antworte doch.»
    Sie glaubt, im Hintergrund Verkehrslärm zu hören.
    «Kyle», sagt sie. «Kyle, sag mir, wo du bist.»
    Hat er aufgehängt?
    «Kyle.»
    Sie hört ein dumpfes Geräusch, als hätte er den Hörer hingelegt und würde ihn gerade wieder in die Hand nehmen.
    «McDonald’s», sagt er.
    «Wo ist Tim?»
    «Tim.»
    «Er müsste eigentlich bei dir sein.»
    Kyle antwortet nicht.
    «Bleib, wo du bist», befiehlt sie. «Rühr dich nicht vom Fleck, hast du gehört?»
    Ihre schäbigen Turnschuhe, die sie immer zur Gartenarbeit trägt, stehen im Wandschrank. Sie streift sich eine Jacke über den Morgenrock. Als sie sich ihre Schlüssel schnappt, schwört sie, dass sie Tim umbringen wird.
     
    Er dreht sich immer wieder um, in der Erwartung, dass Brooks ihm nicht länger folgt, aber er ist noch da. Wenn er ihn doch bloß in Ruhe lassen würde, denkt Tim. Er ist so müde, dass er am liebsten die Augen schließen würde. Irgendwo dahinten steht das alte Herrenhaus der Scovilles. Er stellt sich vor, wie er in eins der Baldachinbetten gleitet, wie ihn die schweren weißen Laken begrüßen und in der Diele eine Uhr Mitternacht schlägt.
    I tried so hard to cleanse these regrets,
singt Billy.
My angel wings were bruised and restrained …
    Niemand wird ihm vergeben, das weiß er. Er hat ein Talent dafür
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