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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten
Autoren: Clemens J. Setz
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Heimkehr
    Ein grauhaariger Mann stand klatschend in der Herrengasse. Obwohl es leicht regnete und viele Passanten Schirme wie buntfarbige Sprechblasen über ihren Köpfen spazieren trugen, schaute der Mann in den Himmel und spendete ihm Beifall. Die meisten Menschen wichen der seltsamen Erscheinung aus. Viele wurden auch langsamer, als sie näher kamen, und suchten nach einer Sammelbüchse oder einem Hut, in die man Münzen werfen konnte. Aber da es nichts dergleichen gab, blieb ihnen nur übrig anzunehmen, dass der Mann ein Verrückter war. Ein Kind, das an der Hand seiner Mutter ging, begann ebenfalls zu klatschen, als es den Mann bemerkte. Die Mutter griff sofort ein und bog die Hände des Kindes wieder auseinander. Dabei fiel ihr der Schirm auf den Boden.
    René Templ trat versehentlich auf den Schirm, stolperte und stieß gegen die Einkaufstasche der Frau. Er entschuldigte sich und hob das Ding auf, putzte es umständlich ab und gab es ihr zurück. Templ schaute ihr nach, als sie die Straßenseite wechselte. Der Schirm hatte ein wenig an Symmetrie eingebüßt und eierte, wenn man ihn drehte.
    Nichts bleibt für lange Zeit unversehrt.
    Das Bild in Natalies Wohnung war aus dem Rahmen gefallen und sie hatten es gemeinsam wieder an seine Stelle gehängt. Das hatte zwei Stunden gedauert.Danach war nur mehr Zeit für eine kurze Umarmung geblieben. Er hatte seine Hose anbehalten.
    Ein merkwürdiges Bild: Ein endloser Raum, angefüllt mit den immer gleichen geometrischen Figuren. Würfel, miteinander verbunden durch längliche Quader.
    Der Weg nach Hause führte ihn jeden Tag durch die Innere Stadt. Er liebte diesen Stadtteil, weil er sehr weit von seiner Wohnadresse entfernt lag. Wenn er von dieser wohltuenden Ferne wieder genug hatte, fuhr er mit der Straßenbahnlinie 7 bis zur Eggenberger Allee. Hier, versteckt zwischen zwei imposanten Mehrfamilienhäusern, wohnte er in einem kompakten, aber immerhin zweistöckigen Haus. In der kleinen Auffahrt stand eine alte, rostige Wäschestange, auf der sein Sohn früher geturnt hatte. Jetzt freilich ging das nicht mehr.
    Den Garten ließ er, so gut es ging, verwildern. Ein Vogelhäuschen gab es dort, das er nicht gebaut hatte. Am Haus selbst hatte er kaum jemals etwas reparieren müssen. Und in einem dicken Zementblock eingemauert kauerte ein Gartengrill, den er noch nie verwendet hatte. Sein Leben hier war das des fantasielosen Nachmieters.
    Spuren hinterließ René Templ nur in seinem Arbeitszimmer, und auch da nur in kleinen überschaubaren Ausmaßen. Er tippte auf der Schreibmaschine seine handtellergroßen Geschichten, die er dann anschließend in stundenlanger Arbeit revidierte oder in ausführlichen Selbstgesprächen kommentierte. An Programme zur Textverarbeitung und deren unberechenbares Verhalten hatte er sich nie gewöhnen können.
    Vom Fenster aus sah man direkt auf die Allee. Es war ein beinahe quadratisches Fenster mit einem einzigen Flügel; das war eine Besonderheit des Arbeitszimmers. Das Foto auf dem Schutzumschlag von Templs letztem Buch zeigte sein ernstes Gesicht im Rahmen dieses Fensters. Der Fotograf hatte lange gebraucht, bis er die halbtransparente Reflexion eines Baumwipfels mit auf dem Bild hatte. Im Rest des Hauses gab es nur doppelflügelige Fenster.
    Das Angenehme an den Häusern in dieser Straße war die Ellbogenfreiheit, die sie hatten. Kein Schulter-an-Schulter-Stehen wie bei einer zum Appell angetretenen Schulklasse. Man konnte es, wenn man rastlos war oder es im Haus nicht aushielt, lange umrunden und sich gut überlegen, ob man wieder zurückkehren wollte.
    Kevin kam aus der Toilette. Er war entsetzlich müde. Um die Ecke, in ihrem Zimmer saß seine Mutter am Telefon und sprach mit einem Immobilienmakler: – Aber wenn man dieses Geld jetzt einfach nicht hat … wenn niemand was unternimmt – Ja … ja, ich verstehe, das ist klar, das müssen Sie mir nicht erklären … Ja … gut … aber wenn das Schicksal – Ich verstehe. Gut, gut, in Ordnung –
    Dann hörte man die Gartenpforte, ein Geräusch wie das Zähneknirschen eines Säuglings. Sein Vater kam. Schnell verschwand Kevin in seinem Zimmer. Er setzte sich auf sein Bett und ließ seinen Körper zu Atem kommen. Verdammtes Treppensteigen.
    Warum willst du immer das gleiche Gespräch führen? Warum?
    Der Satz wartete in ihm, wärmte sich auf, trat voneinem Ski auf den anderen. Templs Herz schlug wild und unwillig.
    Was würde sie ihm diesmal vorwerfen?
Weshalb triffst du dich die ganze
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