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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten
Autoren: Clemens J. Setz
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Vater auf.
    – Kann die Tür vielleicht offen bleiben, fragte Templ, ich glaube, er fühlt sich nicht gut, wenn das geschlossen bleibt.
    – Nein, das ist leider notwendig, ich weiß nicht … Kevin rückte ein wenig näher an seinen Vater heran. Ja, jetzt wo er auf seiner Seite war. Aber der Glaskasten wirkte ja auch wirklich ein wenig bedrohlich. Da drinnen zehn Minuten eingesperrt …
    – Die zehn Minuten sind gleich vorbei, begann der Arzt noch einmal in einem schärferen Tonfall. Das hält er bestimmt aus, oder, Kevin?
    Kevin schüttelte den Kopf, berührte nun schon fast das Hosenbein seines Vaters. Mutig, dachte Templ, und für einen Augenblick musste er der Versuchung widerstehen, seinen Sohn aufzuheben und ihn sich auf die Schultern zu setzen. Woher die Kraft für diesen Widerstand kam, war unklar, aber sie war schon seit Jahren da, Tag für Tag, ein zäher Widerstand, ein subversives Vatersein. Nein, kein Ritt auf der Schulter, du gehst jetzt brav in den Glaskasten.
    – Ich gehe mit, wenn es kein Problem ist, sagte er. Er erschrak über seine Worte. Welcher jämmerliche Instinkt war da mit ihm durchgegangen? Es sollte doch nur darum gehen, den Jungen möglichst schnell in diesen Kasten und dann genauso schnell wieder aus der Praxis heraus zu bringen. Aber jetzt? Jetzt durfte er selbst Patient spielen. Und man sah es dem Blick des Arztes bereits an: Der Vorschlag gefiel ihm. Wie ein geheimer Handschlag zweier Logenbrüder wirkte sein Vorschlag: Ein beschützender Vater hatte sich einem anderen beschützenden Vater zu erkennen gegeben. Ein stolzer Ehering auf der rechten Hand des Arztes.
    – Gut, ja, in Ordnung, wenn Sie da drinnen Platz finden, gemeinsam.
    – Nein, das heißt, wenn Kevin nicht vielleicht –
    Er versuchte, den letzten Rest an väterlicher Aufmunterung, zu der er noch fähig war, zusammenzukratzen, um Kevin zu bestärken. Er machte eine Geste mit Schultern und Händen, ein lässiges Gewähren-Lassen, eine Geste, wie sie Fußballtrainer machen, die so etwas bedeutete wie: Du machst das schon, auf dich kann ich mich verlassen, du bist doch der Star, der Mann im Haus.
    Aber die Geste half nichts.
Er
blieb der Mann, Kevin drängte sich an ihn, hatte Angst vor dem Käfig, ein zitterndes Tierjunges. Und es half nichts, wie immer, es half nichts und niemand. Er musste mit hinein.
    Kevin nahm auf seinem Schoß Platz und Templ fiel auf, wie schwer der schwächliche Junge inzwischen geworden war. Wann hatte er ihn das letzte Mal auf dem Schoß gehalten? Zu der komplexen Suchanfragegab es zwar eine Erinnerung, aber die schien bereits Jahrzehnte entfernt.
    Der Glaskäfig und das erdrückende Gewicht seines Sohnes raubten ihm die Luft. Er schloss die Augen – egal, mochte der Arzt denken, was er wollte – und dachte etwas Beruhigendes. Das war doch alles nicht so schlimm, in Wirklichkeit. So wie damals, als er mit seiner Frau – damals noch seine Freundin, Studentin der Rechtswissenschaften – in einer Telefonzelle den Regen abgewartet hatte, in einer angenehm engen Telefonzelle. Siehst du? Da war die Enge angenehm gewesen. Damals hatte er sie geküsst, draußen das Rauschen des Regens, sie beide leicht bekleidet. Sie waren aus dem Kino gekommen, da hatte es geregnet – wetterwendische Schwäche in einem Mai vor vielen Jahren.
    Er bemerkte, dass er Kevin umklammert hielt, und ließ schnell los.
    Er blickte verwirrt nach draußen. Da stand der Arzt und schaute ihn – konnte das sein? – erstaunt an, vielleicht sogar entsetzt. Man durfte doch wohl seinen Sohn umarmen. Immerhin hatte der Junge Angst. Lasst mich doch alle in Ruhe. Glaskäfig … Jetzt merkte er auch, dass das Kind auf seinem Schoß ganz steif und unbeweglich geworden war. Es atmete, wie man am Heben und Senken seines Rückens erkennen konnte, nur mehr sehr flach.
    Eine sonderbare Wärme breitete sich auf Templs Schoß aus.
    Großer Gott! Er sprang auf, sodass sein Sohn nach vorne kippte. Templs Kopf stieß an die niedrige Decke der Kabine. Aah! Der Arzt öffnete schnell die Tür. Der hydraulisch versiegelte Kasten atmete erleichtert aus.
    – Was ist denn passiert? Haben Sie Platzangst?
    Aber Templ drängte ihn auf die Seite, voller Wut und mit der Genugtuung, endlich seine Arme wieder gebrauchen zu können – weg da, aus dem Weg! Es war eine einzige … Verschwörung, ein Skandal! Sein Sohn war hysterisch, nichts weiter, wie seine Mutter. Er, Templ, war umgeben von lauter Irren.
    Er stieß die Tür des Behandlungszimmers auf,
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