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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten
Autoren: Clemens J. Setz
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Zeit mit diesem Karl Senegger? Seit du ihn kennst, bist du ganz verändert! Du bist so streng und … verschlossen
. Alles kaputt machen, immer. Senegger nahm ihn wenigstens ernst, aber sie? Und Natalie?
    Licht im Zimmer von Kevin, stellte er fest. Sitzt sicher noch über seinen Büchern. Oder nein, die Kurzatmigkeit, die so genannte. Wahrscheinlich schon im Bett. Starrt zur Decke. Zählt die Flecken und gibt ihnen Namen berühmter Entdecker.
    Die Tür wurde ihm geöffnet.
    – Endlich, ich muss mit dir reden, gut, dass es nicht
noch
später –
    In der Aufregung verschluckte er den vorbereiteten Satz. Seine Frau redete schnell weiter:
    – Heute hat er sich nicht einmal mehr selbst anziehen können, so
müde
war er. Müde, hast du das verstanden: müde. Ich meine, richtig, nicht bloß schläfrig. Du hättest ihn sehen sollen, die Augen sind ihm einfach zugefallen. Und im Auto ist er mir eingeschlafen, und ich bin mir sicher, dass er auch im Unterricht schläft.
    – Aber die Lehrerin weiß doch –
    – Ja, natürlich, wandte sich seine Frau von ihm ab, und wie durch ein Wunder blieb die Schürze, die sie trug, für einen Moment stehen, drehte sich nicht mit. – Das ist typisch! Genau das hab ich mir gedacht! Du sagst einfach: Die Lehrerin weiß doch Bescheid. Als würde das irgendwas ändern! Und sie riss sich die Schürze vom Leib.
    Templs erster Impuls riet ihm zur Umkehr.
Warumwillst du immer das gleiche
– Er hatte Angst vor seiner Frau.
    – Ich, ich akzeptiere das nicht länger. Du wirst dich endlich den Tatsachen stellen, sagte nun seine Frau mit veränderter, dunklerer Stimme. Du wirst das endlich einmal einsehen und nicht immer auf Nebensächlichkeiten herumreiten!
    – Ja, ja, ich –
    – Es ist der Sauerstoff!
    – Aber jeder ist einmal müde … besonders natürlich –
    – Das glaub ich einfach nicht! Diese Ignoranz – Bei seinem Schulkollegen war es genau dasselbe! Du warst doch damals bei diesem Schriftsteller eingeladen, dessen Frau ebenfalls an einer Lungengeschichte gestorben ist.
    – Das war doch etwas anderes.
    – Ah, ja, an dem Tag darf niemand rütteln, was? Da hast du diesen Karl Senegger kennen gelernt, der dich jetzt unbezahlt für seine Dienste einspannt.
    Obwohl sie Unsinn daherredete, hatte sie mit einer Sache Recht: Er mochte es tatsächlich nicht, wenn sie an diesem Tag herumnörgelte. Sie war nicht dabei gewesen und hatte keine Ahnung, was er für ihn bedeutete. Das Abschiedsfest für das alte Landhaus des Dichters Ernst Mauser. Er erinnerte sich noch genau an den blassblauen Swimmingpool, an die alten Männer im Wasser, die als Gäste eingeladen waren. Und Karl Senegger, der mit ihm über die Zukunft der Kultur und allerlei andere Dinge diskutiert hatte. Am Ende hatte er Templ gebeten, sich ein paar Manuskriptseiten anzusehen.
Von wem?
Von seinem Sohn. Der sei soeben gestorben.
    – Das war etwas vollkommen anderes, glaub mir, sagte er langsam.
    Sie hielt das Hautstück über der Nasenwurzel mit zwei Fingern fest. Konzentration, ganz ruhig. Ihr Zeigefinger schnellte nach vor:
    – Du! Du hättest es in der Hand, schrie sie. Verdammt noch einmal! Warum tust du nicht, was du tun kannst? Für dein Kind …
    – Es muss doch … auch für uns …
passen
, sagte Templ, und in dem Wort lag so viel ehrliche Selbstpreisgabe, wie er aufbringen konnte.
    Aber es hatte keine Wirkung. Es gelang nie, aber auch wirklich nie. Die Anzeigen für Immobilien, das war jetzt die Strafe, die ihm bevorstand. Der Rotstift, die lästige Arbeit des Einkreisens, stotternde Telefonate mit Maklern. Für so etwas heiraten … Verschwendung von Energie. Dabei könnten sie es so schön haben.
    Am besten auf die Toilette. Er setzte sich in Bewegung. – Himmelherrgott, er war noch nicht einmal dazu gekommen, die Schuhe auszuziehen. Aber Gott sei Dank hatte sie den verbotenen Schritt über den Teppich nicht bemerkt. Schnell zurück.
    Sie kam mit der vorwurfsvoll gefalteten Zeitung zurück. Sie faltete sie auf und blätterte umständlich beim Gehen, ignorierte herausfallende Werbezettel und blieb vor ihm stehen.
    – Wo, wo willst du hin?
    – Nur kurz aufs Klo.
    Seine Stimme war das Feigste an ihm. Sie verweigerte seit einiger Zeit häufig den Gehorsam. Wenn er brüllen wollte, brachte sie, eine lahme Rebellin gegen seinen Körper, nur ein konzentriertes, beschleunigtes Flüstern hervor. Als hätte sie Angst,jemanden aufzuwecken. Aber Kevin schlief ohnehin fast nicht mehr, sondern lauschte stattdessen auf das
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