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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten
Autoren: Clemens J. Setz
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sie mir angezogen? Oder war ich gestern zu betrunken gewesen?
    Ich stapfte durstig, verschlafen und in Unterwäsche durch die fremde Wohnung. Ich suchte die Küche, fand mich wieder im Vorzimmer und starrte ungläubig auf die Wohnungstür. Plötzlich bewegte sich etwas: Die Türklinke sank in Zeitlupe herab, dann wurde das Schloss aufgesperrt. Ich ging schnell zurück ins Schlafzimmer und versuchte, still zu sein. Das Schloss wurde
immer noch
aufgesperrt. Schließlich gelang es und die Tür ging auf. Der Eindringling betrat die Wohnung und schloss die Tür hinter sich, so leise wie möglich. Mein Herz begann zu klopfen.
    Nach einem Blick in den Flur wechselte ich vom Schlaf- ins Kinderzimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich hielt mir, um leiser zu atmen, die Hand vor den Mund. Sie roch nach Nina.
    In einer Ecke des Zimmers saß, breit und unbeweglichwie ein Buddha, ein Flachbildfernseher, helle Bücherregale führten den Blick die Wand entlang zu einem Fenster, durch das man in den Hof sah, wo sich ein Rudel angebundener Fahrräder in eine überdimensionale Metallspirale drängte.
    Die Bücher: »Die Sage vom Gral«. »Sang Real«. »Der heilige Gral und seine Erben«. »Geschichte der Templer«. »Montsegur«. »Das Languedoc«. »Die Verfolgung der Katharer«. »Die Albigenserkriege«. Sogar eine Ausgabe des »Parzival«.
    Ein Besessener.
    In einer anderen Ecke: Videorekorder, DVD-Player, Playstation und ein Computer mit einer Tastatur, die in der Mitte wie ein Kuchenteig aufgequollen war – das ganze Programm, all die Dinge, mit denen man ein Kind beruhigen und ablenken muss, ein Haufen Briefbeschwerer für einen kleinen, von sinnlosen Wünschen gequälten Verstand.
    Dann hörte ich die hohe Stimme, die Bestätigung meines Verdachts:
    – Ja … ja, sicher … Kannst du mich vielleicht später anrufen, ich … ich möchte nicht … ja … Rate mal … na los, rate … ich hab gesagt, du sollst raten … Ja, sicher, wo sonst … ja … okay, okay … bis später.
    Er spazierte an meinem lächerlichen Versteck vorbei direkt ins Schlafzimmer. Dort hörte ich seine Schritte nicht mehr, der Teppich verschluckte sie. Es dauerte lange. Nachdem er das Schlafzimmer wieder verlassen hatte, benutzte er die Toilette und verschwand. Ich wartete noch eine Zeitlang, ob er nicht vielleicht wieder zurückkäme, dann traute ich mich aus meinem Versteck und sammelte meine Kleider vom Schlafzimmerboden auf. Bestimmt hatte er siegesehen. Aber er hatte sie, wie es schien, nicht angerührt.
    Ich bemerkte, dass der Fernseher im Schlafzimmer lief. Ohne Ton war dort ein altes Interview mit Rainer Werner Fassbinder zu sehen, der mit seinem Bärtchen und der komischen Frisur aussah wie ein böser Mongolenprinz. Wozu hatte Bernd den Fernseher eingeschaltet?
    Ich ließ ihn laufen. Während ich meine Kleider zusammensuchte und mich anzog, bemerkte ich, dass mein Rucksack fehlte. Hatte ich ihn im Restaurant liegen lassen? Ich suchte die Wohnung danach ab, aber er war nirgends.
    Der Anruf erreichte mich spät am Abend. Eine künstlich tiefer gestellte, metallische Stimme, wie aus Dokumentationen, in denen irgendwelche Opfer oder Täter als ernste Silhouetten über ihr Schicksal sprechen, atmete zuerst ein paar Takte in die Leitung, dann sagte sie:
    – Ich hab hier was, was Sie interessieren könnte … einen Stapel Manuskriptseiten. Und … ein Feuerzeug …
    – Hallo? Wer spricht da?
    – Und das Feuerzeug … mache ich jetzt an …
    Man hörte das charakteristische Geräusch. Einen Augenblick lang knisterte es in der Leitung.
    – Wer spricht denn da?
    Leises Kichern.
    – Bernd?
    – Wie das brennt … schön … das passiert, wenn man sich einmischt …
    – Soll das vielleicht witzig sein?
    – Die erste Seite ist verbrannt. Wenn Sie den Rest –Ich legte auf. Wenig später klingelte es wieder, aber ich ging nicht ran.
    Als ich am nächsten Tag mein Rad vor Ninas Haus an einem Verkehrsschild festkettete, sah ich in ihrem Garten eine kleine, kreisrunde Feuerstelle. In der Asche fanden sich die Überreste meines Rucksacks. Nina stand in der Tür. Sie hatte mich schon erwartet.
    – Es tut mir wirklich fürchterlich leid, sagte sie, als sie mich sah. Ich habe schon mit ihm geschimpft und er sagt, dass es eine Kurzschlusshandlung war. Mit meinem Fuß stocherte ich ein wenig in der Asche herum.
    – Er ist besessen von dir, sagte ich.
    Meine Formulierung schien sie zu erstaunen. Sie trat auf mich zu und hob den Rest eines Schulterriemens
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